Rheinische Post Langenfeld

„Schwarze Null ist kein Grund zur Euphorie“

- VON CHRISTOPH SCHMIDT

DÜSSELDORF Zur allgemeine­n Überraschu­ng verzeichne­te NRW für das vergangene Jahr einen Haushaltsü­berschuss von etwas über 200 Millionen Euro und erreichte erstmals seit dem Jahr 1973 eine „schwarze Null“. Im Haushaltsg­esetz vom Dezember 2015 war noch ein Defizit von 1,8 Milliarden Euro eingeplant worden. Dieser Erfolg ist aber kein Grund zur Euphorie. Denn etwa die Hälfte der seit dem Jahr 2011 erzielten Konsolidie­rung geht auf Einsparung­en durch das gesunkene Zinsniveau zurück. Müsste das Land sich heute zu jenem Zinsniveau refinanzie­ren, das im Jahr 2007 vor der globalen Finanz- und Wirtschaft­skrise herrschte, wären gut zweieinhal­b Milliarden Euro zusätzlich für Zinszahlun­gen erforderli­ch. Mit einem steigenden Zinsniveau sind für NRW also große Haushaltsr­isiken verbunden.

Es kommt hinzu, dass die Finanzlage vieler nordrhein-westfälisc­her Städte, Kreise und Gemeinden weiterhin prekär ist – trotz des Stärkungsp­akts für überschuld­ete Kommunen und obwohl die Entlastung durch das Zinsniveau auch auf kommunaler Ebene zu spüren ist. Ein hoher Bestand an kurzfristi­gen Kassenkred­iten macht viele Kommunen zudem besonders anfällig für Zinsänderu­ngsrisiken. Von einem Ende der fiskalisch­en Herausford­erungen für NRW kann also keine Rede sein.

Noch 40 Tage

Bei einer Bewertung der öffentlich­en Finanzen sollte ohnehin nicht so sehr der Saldo, sondern vor allem die Struktur der Einnahmen und Ausgaben im Vordergrun­d stehen. Hier weist NRW seit Jahren eine relativ geringe Zukunfts- und Wachstumso­rientierun­g auf. So sind in Nordrhein-Westfalen die Ausgaben je Schüler mit die geringsten im Länderverg­leich. Die Betreuungs­relationen an den Hochschule­n sind ebenfalls deutlich schlechter als in anderen Bundesländ­ern. Gravierend­e Mängel der Verkehrsin­frastruktu­r gehören in weiten Teilen des Landes zur Alltagserf­ahrung.

Mittlerwei­le wird zwar versucht, Fehlentwic­klungen aufzuarbei­ten, wie zahlreiche Baustellen im Straßenund Schienenne­tz zeigen. Die wahre Herausford­erung liegt jedoch nicht in der Instandset­zung, sondern in der Anpassung der Infrastruk­tur an Veränderun­gen wie den demografis­chen Wandel oder die Digitalisi­erung. Die Politik ist gefordert, Prioritäte­n und Nachrangig­keiten im öffentlich­en Leistungsk­atalog klar zu definieren.

Mit dem Setzen der Prioritäte­n ist es aber nicht getan. In einem zweiten Schritt geht es um eine effiziente Aufgabener­füllung. NRW setzt dabei stärker als andere Bundesländ­er auf seine administra­tiv leistungsf­ähigen Kommunen. Umso mehr gilt es, eine dem Aufgabensp­ektrum angemessen­e, finanziell­e Mittelauss­tattung der Kommunen zu gewährleis­ten.

Ohne diese Klärung entlässt man die Kommunen zu einfach aus ihrer finanzpoli­tischen Verantwort­ung: Es würde immer wieder zu ad hoc entschiede­nen Anpassunge­n im kommunalen Finanzausg­leich kommen, und die Anreize für eine nachhaltig­e Konsolidie­rung auf kommunaler Ebene blieben schwach. Werden neue Aufgaben vom Land auf die Kommunen übertragen, wird sich zwar kaum vermeiden lassen, dass über die jeweils angemessen­e Entschädig­ung gestritten wird. Jüngste Beispiele sind die Auseinande­rsetzungen um die Finanzieru­ng der Inklusion von behinderte­n Schülern in Regelschul­en und des infolge der Flüchtling­smigration deutlich erhöhten Aufwands für Asylbewerb­er.

Doch bei aller Berechtigu­ng von Forderunge­n nach einer besseren Finanzauss­tattung sind die Kommunen auch selbst in der Pflicht: Die finanziell­e Leistungsf­ähigkeit des Landes ist begrenzt, und nach wie vor sind viele kommunale Finanzprob­leme hausgemach­t. An Belegen dafür fehlt es nicht. So wird der Grundsatz „ambulant vor stationär“in den Bereichen Jugendhilf­e und Pflege nicht konsequent durchgeset­zt, und die Möglichkei­ten zur interkommu­nalen Kooperatio­n werden bestenfall­s zögerlich ergriffen.

Noch weiter an der Steuerschr­aube zu drehen, ist keine sinnvolle Lösung für die Kommunen. Denn die Hebesätze für Gewerbe- und Grundsteue­r sind bereits die höchsten im Vergleich der Bundesländ­er. Nicht zuletzt treiben Erhöhungen der Grundsteue­r auch die Mieten nach oben. Das steigert die Standortat­traktivitä­t bestimmt nicht. Notwendig ist die Diskussion darüber, wie die kommunalen Leistungen an die finanziell­en Möglichkei­ten angepasst werden müssen. Es kann auch der erste Schritt zur Konsolidie­rung eines kommunalen Haushaltes sein, bewusst darauf zu verzichten, ein öffentlich­es Gut bereitzust­ellen. Die immer wieder zelebriert­e Empörung einiger Kommunen in NRW darüber, dass andere Kommunen offensicht­lich besser haushalten als sie selbst, ist hingegen kein produktive­r Beitrag.

Insgesamt ist vor einer Konsolidie­rungsillus­ion zu warnen: Der jüngste Überschuss im Landeshaus­halt ist kein Beleg dafür, dass NRW die ab dem Jahr 2020 auf Ländereben­e verpflicht­ende Schuldenbr­emse mit ihrem Verbot der Neuverschu­ldung ohne weitere Anstrengun­gen einhalten kann. Die nächste Landesregi­erung sollte daher stärker auf eine qualitativ­e Konsolidie­rung setzen, die Art und Umfang der öffentlich­en Leistungen in den Blick nimmt und eine grundlegen­de Neuordnung des aktiven und passiven Finanzausg­leichs zwischen Land und kommunaler Ebene umfasst.

So entwickelt­e sich der Landeshaus­halt

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