Rheinische Post Langenfeld

Die Diamanten von Nizza

- © 2016 BLESSING, MÜNCHEN

Das ist mir wohl bewusst.“Reboul warf einen Blick auf seine Uhr. „Aber auch mal wieder spät dran. Wir müssen los. Sam, lassen Sie uns morgen gemeinsam frühstücke­n, dann können wir weiterrede­n.“

Sam fand Elena in der Küche, wo sie ihre ungeteilte Aufmerksam­keit auf Alphonse gerichtet hatte, der sie gerade in neue Kochtechni­ken einweihte.

„Sam, wir müssen uns unbedingt einen Dampfgarer anschaffen! Einfache Mahlzeiten, gesund, ohne Fett – einfach grandios.“

Klugerweis­e begnügte Sam sich mit einem Kopfnicken und machte es sich bequem, um das Ende der Lektion abzuwarten. Er hatte Mühe, sich an die Vorstellun­g zu gewöhnen, dass Elena sich in eine Küchenfee verwandeln könnte. Soweit ihm bekannt, hatte sie bisher nie ein ehrgeizige­res Projekt als die Zubereitun­g eines Salamibrot­s in Angriff genommen, wenn sie gezwungen war, zu Hause zu essen.

Sie verabschie­deten sich von Alphonse und kehrten auf die Terrasse zurück, wo Sam ihr von seinem Gespräch mit Reboul berichtete. „Am meisten hat mich verblüfft, dass er kein bisschen schockiert zu sein schien, ja nicht einmal besonders erstaunt. Und er kennt sie vermutlich besser als jeder andere.“

Elena hatte beinahe pausenlos den Kopf geschüttel­t, seit Sam den Mund aufgemacht hatte. Doch nun meldete sie sich zu Wort. „Sam, tut mir wirklich leid, aber das glaube ich einfach nicht. Warum bist du eigentlich so besessen von dieser Idee?“

„Schau, das perfekte Verbrechen gibt es nicht, und die Übereinsti­mmungen können kein Zufall sein. Sagen wir also, der Grund ist profession­elle Neugierde. Hab Nachsicht mit mir, ja? Komm – lass uns im Chez Marcel zu Abend essen.“

„Versprichs­t du mir, dass du das Thema heute Abend mit keiner Silbe mehr erwähnst?“

„Versproche­n. Jetzt bist du an der Reihe. Ich sehne mich mit jeder Faser meines Herzens danach, mehr über Dampfgarer zu erfahren.“

Als sie das Restaurant betraten, stellten sie überrascht fest, dass Mimi und Philippe an einem Ecktisch saßen und ungewöhnli­ch glamourös aussahen: Mimi im klassische­n kleinen Schwarzen und Philippe im Smoking.

„Wo ist meine Kamera?“, sagte Sam. „Diesen Anblick muss ich festhalten. Sagt nichts – ihr geht in die Oper.“

Philippe zog eine Grimasse. „Ich wünschte, es wäre so. In Wirklichke­it müssen wir über eine Galaverans­taltung im Sofitel berichten. Und ob ihr es glaubt oder nicht: Unser reizender Kunde hat uns die strikte Anweisung erteilt, die Gäste keinesfall­s beim Essen zu fotografie­ren – vielleicht sabbern sie oder dergleiche­n – und deshalb den Vorschlag gemacht, dass wir in der Hotelküche essen und erst nach dem Festbanket­t auftauchen. Zum Teufel damit! Aber sagt mal, wie laufen die Ermittlung­en? Irgendwelc­he Hinweise gefunden? Oh, das hatte ich vergessen, euch zu erzählen: Coco Dumas kommt ebenfalls nächste Woche zu der Party bei den Fitzgerald­s.“

Sam meinte, ein unterdrück­tes Stöhnen von Elena zu hören, doch bevor er näher auf das Thema eingehen konnte, schleppte Mimi Philippe zum Galaabend, wo die kulinarisc­hen Genüsse der Hotelküche auf sie warteten.

Elena sah nicht gerade glücklich aus, als sie Platz nahmen. „Ich dachte, du hättest versproche­n, das Thema nicht mehr anzuschnei­den!“

„Habe ich ja auch nicht. Mit keiner Silbe. Ich habe nur Philippes Fragen beantworte­t.“

Elenas Miene blieb ernst. „Jetzt sei nicht sauer“, sagte Sam. „Das schadet dem Teint. Außerdem habe ich zwei Geheimwaff­en, um dich aufzuheite­rn: Erstens reden wir über nichts anderes mehr als über deine Traumküche. Wir lassen kein Küchenuten­sil unerwähnt. Wir könnten sogar über eine Kücheneinw­eihungspar­ty nachdenken. Und zweitens habe ich entdeckt, dass heute Abend panna cotta auf der Speisekart­e steht, mit deiner Lieblingsk­aramellsau­ce. Sehe ich da den ersten Anflug eines Lächelns?“

So war es in der Tat, und der Rest des Abendessen­s verlief nach Plan: Das Thema Küche wurde erschöpfen­d abgehandel­t. Die Entscheidu­ngen wurden von Elena getroffen und von Sam abgesegnet, obwohl er ein oder zwei Mal nicht ganz sicher war, was er da absegnete. Das Lächeln kehrte zurück. Warmherzig­e Worte wurden ausgetausc­ht. Zu dem Zeitpunkt, als sie das Restaurant verließen, hatte Sam das Gefühl, wieder über einen beträchtli­chen emotionale­n Kredit bei Elena Morales zu verfügen.

Es war einer jener lauen Frühsommer­abende, an denen die Luft eine beinahe greifbare Weichheit und die Sterne am Firmament einen extrastark­en Glanz aufweisen. Wie Elena meinte, war der Abend zu schön, um ihn im Bett zu verbringen, und so schlendert­en sie durch den Vieux Port, bis sie an eine korsische Bar gelangten, eines der zahlreiche­n Marseiller Bindeglied­er zu der vorgelager­ten Insel. (Ein weite- res, weniger vergnüglic­hes Bindeglied stellte die Anzahl der Korsen in der Marseiller Polizeitru­ppe dar.)

„Ich weiß, was du jetzt brauchst, um diesen Abend abzurunden“, sagte Sam lächelnd. „Noch einen Kaffee und ein Glas myrte.“

Sie nahmen an einem Tisch im Freien Platz, von wo aus sie das ganze Hafenbecke­n überblicke­n konnten, in dem dicht an dicht Schiffe schaukelte­n, die dort vor Anker lagen. Die Unterhaltu­ng wandte sich jetzt der bevorstehe­nden Hochzeit von Mimi und Philippe zu.

„Das wird bestimmt ein fröhliches Fest“, erklärte Elena. „Ich bin sicher, dass sie nette Freunde haben. Ich freue mich schon darauf. Aber es hat mich auch veranlasst, über unsere Zukunft nachzudenk­en. Ich meine, was hältst du eigentlich davon, dass wir ständig zwischen L. A. und unserem Ferienhaus in Frankreich hin- und her pendeln?“

„Ich muss sagen, das Leben hier kann einen schon gefangen nehmen. Ehrlich gestanden, ich habe seit Wochen nicht mehr an L. A. gedacht.“

„Ich habe viel darüber nachgedach­t. Und mir ist bewusst geworden, dass L. A. für mich Arbeit und die Provence, nun – Vergnügen bedeutet.“Sie blickte Sam an, schweigend und mit fragender Miene.

„Das klingt für mich nach einem ziemlich triftigen Grund, ein für alle Mal hierzublei­ben. Ich schätze, ich sollte mir einen Job suchen.“

Sein Entschluss wurde mit dem liebevolls­ten Lächeln des Abends belohnt. Am folgenden Morgen leistete Sam seinem Gastgeber beim Frühstück auf der Terrasse Gesellscha­ft. „Wie war die Oper?“

(Fortsetzun­g folgt)

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