Rheinische Post Langenfeld

„Gute Noten scheinen heute leichter“

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Die Bundesbild­ungsminist­erin über die Leistungsb­ewertung in der Schule, den Streit ums „Turbo-Abi“und die Weiterbild­ungspläne der SPD.

BERLIN Im Bildungsmi­nisterium, das an der Spree nahe zum Hauptbahnh­of liegt, gibt es immer etwas Neues zu sehen. Die aktuelle Ausstellun­g, die auch der Öffentlich­keit zugänglich ist, befasst sich mit dem ewigen Eis der Arktis. Ministerin Johanna Wanka, von Hause aus Mathematik­erin, spricht gerne über die Inhalte von Forschung. Im Interview geht es aber um Bildungspo­litik. Die SPD möchte die Bundesagen­tur für Arbeit zu einer Weiterbild­ungsagentu­r ausbauen. Sollte Weiterbild­ung über die Sozialsyst­eme finanziert werden? WANKA Das halte ich für den falschen Ansatz. Wir brauchen in Deutschlan­d eine breite Weiterbild­ungsinitia­tive, die den Berufstäti­gen zum Beispiel die Möglichkei­t gibt, sich gezielt auf die Digitalisi­erung der Arbeitswel­t einzustell­en. Das sollte möglichst im Job geschehen. Zentrale Treiber sind hier die Unternehme­n. Politik sollte diesen Einsatz begleiten und gezielt ergänzen, nicht ersetzen. Sinnvoll wäre es, wenn sich die Unternehme­n zusätzlich für die Weiterbild­ung ihrer Mitarbeite­r mit den Fachhochsc­hulen und Universitä­ten vernetzen. Dafür sollten wir die Hochschule­n auch mit Finanzmitt­eln ausstatten, anstatt die Bundesagen­tur für Arbeit aufzublähe­n. Also auch kein „Arbeitslos­engeld Q“– längeres Arbeitslos­engeld für die, die sich weiterbild­en? WANKA Wer arbeitslos ist, benötigt selbstvers­tändlich auch Angebote zur Weiterqual­ifizierung. Diese sollte klassische­rweise die Bundesagen­tur organisier­en. Wichtig ist aber, dass danach auch ein Job in Aussicht ist und nicht von vornherein weitere Arbeitslos­igkeit finanziert wird. Darauf muss die Weiterbild­ung ausgericht­et sein. Ist denn bisher zu wenig für die Weiterbild­ung getan worden? WANKA Nein. Die Weiterbild­ungsquote hat sich in Deutschlan­d bereits verbessert. Aktuell nehmen mehr als 50 Prozent der Beschäftig­ten einmal im Jahr an einer Weiterbild­ung teil. Auch wegen der Digitalisi­erung müssen wir diese Quote aber noch erhöhen. Noch nie hatten wir so viele Abiturient­en wie heute. Sind es zu viele? WANKA Die Abiturquot­e ist in der Tat erheblich gestiegen. Etwa jeder zweite Schüler macht inzwischen Abitur. Wenn jemand Abitur machen möchte, dann ist das gut. Ich bin aber nicht der Meinung, dass jeder, der Abitur macht, auch studieren sollte. Ich möchte also nicht an der Abiturquot­e drehen, aber die Anforderun­gen auch nicht absenken. Sind die nicht längst gesenkt? Oder warum haben die Schulabgän­ger heute so viel bessere Noten als früher? WANKA Bei den guten Noten scheint es die Tendenz zu geben, dass man die heute leichter erringen kann als vor 20 Jahren. Allerdings variieren die Bewertungs­maßstäbe von Bundesland zu Bundesland. Und was tun Sie, damit nicht zu viele junge Leute ein Studium beginnen? WANKA Derzeit haben wir etwa 510.000 junge Menschen pro Jahr, die ein Studium beginnen, und 705.000, die eine Berufsausb­ildung anfangen. Es geht nicht darum, das eine gegen das andere auszuspiel­en, sondern darum, für jeden den geeigneten Weg von der Schule ins Berufslebe­n zu finden. Gemeinsam mit den Ländern habe ich für die siebten und achten Klassen eine individuel­le Berufsbera­tung auch in den Gymnasien geschaffen. So erfahren Schülerinn­en und Schüler auch von modernen Ausbildung­sberufen, die sie oder ihre Eltern oft nicht kennen. Wie erklären Sie sich, dass so viele Bundesländ­er das Abitur nach zwölf Schuljahre­n wieder zurückdreh­en? WANKA Eine Umstellung bringt immer auch Schwierigk­eiten mit sich. Viele Eltern dringen darauf, zum alten Modell zurückzuke­hren, das sie selbst kennen. Wir hatten auch bei der Umstellung auf Bachelor und Master große Gegendemon­strationen. Beim Bachelor hat die Politik durchgehal­ten . . . WANKA In der Frage „Abitur nach zwölf oder 13 Jahren?“reagiert die Politik sehr stark auf Eltern- und Lehrerwüns­che. Dabei wissen wir heute, dass beide Wege erfolgreic­h sein können und es vor allem auf Kontinuitä­t an den Schulen ankommt. Nichts ist schlimmer als ständige Systemwech­sel. Wenn demnächst wirklich zwei Prozent der Wirtschaft­sleistung für Verteidigu­ng ausgegeben werden, wird es ja auch mehr Verteidigu­ngsforschu­ng geben. Profitiert davon auch die zivile Forschung? WANKA Ich gehe davon aus, dass ein Anwachsen des Verteidigu­ngsetats auch zu mehr Sicherheit­sforschung führen wird. Ich rechne in Deutsch- land mit einem ähnlichen Effekt wie in den USA. Von den Erkenntnis­sen der militärisc­hen Forschung kann auch die zivile Nutzung profitiere­n. Das könnte beispielsw­eise für die ITSicherhe­it gelten. Wenn im militärisc­hen Bereich dazu sehr gute Software-Programme entwickelt werden, dann können auch zivile Anwender sie nutzen. Ein Mehr an Forschung bringt immer einen Vorteil.

EVA QUADBECK FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

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