Rheinische Post Langenfeld

War es Assad?

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Bei dem Gasangriff auf ein Rebellenge­biet in Syrien kam vermutlich das Nervengift Sarin zum Einsatz. Die Waffenruhe steht vor dem Aus.

DAMASKUS (RP) Die Videobilde­r aus Syrien sind nur schwer zu ertragen. Sie zeigen Opfer eines Luftangrif­fs auf ein Rebellenge­biet, bei dem Giftgas eingesetzt worden sein soll. In einem Film liegen die Leichen von mehreren Kindern nebeneinan­der, fahle Gesichter mit halb geöffneten Mündern und starren Augen. Äußerliche Verletzung­en sind nicht zu erkennen, jedenfalls nicht auf diesen Bildern. Auf einer anderen Aufnahme behandelt ein Helfer ein kleines Kind, vielleicht zwei Jahre alt, mit einer Sauerstoff­maske, um sein Leben zu retten. Das Kind zittert am ganzen Körper.

Über Stunden kursierten gestern immer neue Opferzahle­n aus der Stadt Chan Scheichun im Nordwesten Syriens durch die sozialen Medien. Die als zuverlässi­g bekannte Syrische Beobachtun­gsstelle für Menschenre­chte, die sich auf ein dichtes Informante­nnetz im Land stützt, zählte 58 Tote und Dutzende Verletzte, viele in sehr ernstem Zustand. Andere Quellen meldeten sogar 100 Tote und 400 Verletzte. Unabhängig überprüfen lassen sich die Angaben nicht.

„Niemand weiß, wie viele Menschen getötet worden sind“, berichtete Abu Madschd al Chani, der in der angegriffe­nen Stadt lebt. „Die Menschen können das Gebiet nicht ohne Masken erreichen, und wir haben keine Masken.“Allerdings sprechen die Aufnahmen, die im Internet kursieren, dafür, dass es eine große Zahl von Opfern gab. Auf manchen Bildern liegen die Körper verstreut auf der Straße. Andere zeigen Opfer mit weißem Schaum vor dem Mund. In einem Video weist ein Arzt mit einer Taschenlam­pe auf die stark verkleiner­ten Pupillen eines Opfers – für ihn ein klares Anzeichen für einen Angriff mit Giftgas.

Auch die große Zahl der Bilder lässt kaum Zweifel zu, dass in Chan Scheichun tatsächlic­h Giftgas ausgeström­t ist. Israelisch­e Experten vermuteten, dass bei dem Angriff das Nervengas Sarin eingesetzt wurde. „Wenn es wirklich Sarin war, be- deutet dies, dass weiterhin hochgefähr­liche Bestände chemischer Waffen in Syrien versteckt werden“, sagte Danny Shoham vom Begin-SadatZentr­um für strategisc­he Studien.

Wer aber ist für den Angriff verantwort­lich? Opposition­elle Aktivisten beschuldig­en die syrische Luftwaffe. Die Menschenre­chtler machen dazu keine Angaben. Und Syriens Armee selbst weist den Vorwurf zurück. Die syrische Armee be- sitze überhaupt keine Chemiewaff­en mehr, sagt ein General der Regierungs­streitkräf­te.

Doch es wäre nicht das erste Mal, dass Syrien in dem sechsjähri­gen Bürgerkrie­g Giftgas benutzt. Erst im vergangene­n Monat war ein Bericht der UN-Menschenre­chtskommis­sion zu dem Schluss gekommen, dass Regierungs­kräfte zuletzt mehrfach Gebiete von Rebellen mit Chlorgas bombardier­t haben. Keine Hinweise fanden die Ermittler hingegen dafür, dass Syriens enger Verbündete­r Russland für Giftgasang­riffe verantwort­lich war. Im Besitz von Chlor darf Syriens Regierung sein, weil es auch für zivile Zwecke eingesetzt werden kann. Alle giftigen Substanzen wie Sarin, die allein als Chemiewaff­e eingesetzt werden könnten, sind dem Land hingegen verboten.

Im August 2013 starben beim bislang schwersten Giftgasein­satz im Bürgerkrie­g in einem Rebellenge­biet östlich von Damaskus rund 1400 Menschen. Die USA drohten damals mit einem Militärein­satz gegen Präsident Baschar al Assad. Syrien stimmte daraufhin zu, alle seine Chemiewaff­en zu vernichten.

Aber hat die Regierung das auch tatsächlic­h getan? David Friedman, bei der israelisch­en Armee früher für den Schutz vor chemischen und biologisch­en Waffen zuständig, glaubt das nicht. Man könne davon ausgehen, dass das syrische Regime weiterhin über Vorräte an Sarin- und Senfgas verfüge, sagt er. Die von Russland und der Türkei ausgehande­lte Waffenruhe, die den Weg zu einer politische­n Lösung für den blutigen Konflikt bahnen sollte, könnte nach diesem Angriff endgültig gescheiter­t sein. In den vergangene­n Wochen war sie ohnehin immer brüchiger geworden.

Wie grausam der Krieg in Syrien geführt wird, zeigte sich nur wenige Stunden nach dem Giftgasein­satz, als ein Feldlazare­tt bombardier­t wurde, in dem zahlreiche der GasOpfer um ihr Leben kämpften. Der Chef der sogenannte­n Zivilverte­idigung, Abu Hamdu, sagte, das kleine Krankenhau­s in Chan Scheichun sei zerstört worden, fünf Rettungsfa­hrzeuge seien beschädigt. Die Kampfflugz­euge „haben uns nach dem Angriff ins Visier genommen“. Ein Reporter der Nachrichte­nagentur AFP berichtete, dass eine Rakete am Eingang der Klinik explodiert sei und Teile des Gebäudes zerstört habe. Viele Ärzte hätten die Flucht ergriffen. Ob es bei dem Luftangrif­f Tote gab, war zunächst unklar.

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FOTO: AP Eine Aufnahme des „Edlib Media Center“zeigt, wie ein Kind nach dem Giftgasang­riff in Chan Scheichun von einem Arzt mit Sauerstoff behandelt wird.

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