Rheinische Post Langenfeld

Die Diamanten von Nizza

- © 2016 BLESSING, MÜNCHEN

Gut. Ziemlich gut. Monica war völlig verzaubert. Wahrschein­lich schwebt sie nachher mit einem Lied auf den Lippen die Treppe hinunter.“Er schenkte beiden Kaffee ein. „Also, wo waren wir gestern Abend stehengebl­ieben?“

„Sie haben mir erzählt, wie Coco tickt. Doch bevor wir darauf zu sprechen kommen, gibt es noch eine andere Sache, die mir rätselhaft ist. Diese Miniaturhä­nde. Ich meine, warum sollte sie solch eindeutige Spuren hinterlass­en, wenn sie irgendetwa­s mit diesen Raubüberfä­llen zu tun hat? Das macht eigentlich keinen Sinn.“

„Sam, das entspricht ganz und gar ihrem Charakter. Zum einen glaubt sie, dass alles, was sie macht, Kunst ist, und Kunstwerke sollten mit der Signatur des Künstlers versehen werden. Die Hände sind ihre Signatur. Zum anderen ist sie eine außerorden­tlich von sich überzeugte Frau, deren Selbstsich­erheit möglicherw­eise an Sorglosigk­eit grenzt. Vielleicht glaubte sie felsenfest daran, dass niemand auf diese Kleinigkei­ten achten würde. Und bis Philippe und Sie hier aufkreuzte­n, war das ja auch der Fall. Die Polizei hat die Bronzehänd­e nicht bemerkt, und Mimi ist nur zufällig darauf gestoßen. Abgesehen davon, sind das lediglich Indizien, keine Beweise, auf die Sie im Ernstfall zurückgrei­fen könnten. Wenn Sie auf die Idee kämen, Coco damit zu konfrontie­ren, würde sie Ihnen ins Gesicht lachen.“

Sam musste ihm notgedrung­en zustimmen. „Sie haben recht. Ich habe bereits überlegt, ob ich Hervé bitten soll, einen Blick darauf zu werden, aber vermutlich hat das keinen Zweck. Was könnte er schon bewirken?“„Nicht aufgeben“, sagte Reboul. „Wenn Sie drei Mal ungestraft davongekom­men ist, besteht die Möglichkei­t, dass sie es wieder versucht – und das wäre ein idealer Moment, um sie in flagranti zu erwischen.“

Während Sam darüber nachsann, gesellte sich Monica zu ihnen auf die Terrasse, ein Bild von einer Frau in Schwarz-Weiß: weißes T-Shirt, weiße lange Hose, glänzende schwarze Sonnenbril­le und glänzende schwarze Haare. „Ihr beide seht viel zu ernst aus für einen so herrlichen Morgen. Was ist passiert? Wurde der nationale Notstand ausgerufen, weil der Rosé ausgegange­n ist?“

Claudine saß im Fond des Wagens und sah das Informatio­nsmaterial noch einmal durch, das sie für die Johnsons eingepackt hatte. Der Papierwust, der jede Transaktio­n in Frankreich begleitete, füllte eine ganze Mappe. Er enthielt eine Auswahl von Druckfahne­n, die komplett waren einschließ­lich der Bildunters­chriften, sowie Einzelheit­en zur vorgeschla­genen Gestaltung des Titelblatt­s. Das wird ein Knaller für unser Magazin, dachte sie, als Roland, ihr Fahrer, vor dem Eingangsto­r zum Anwesen der Johnsons hielt.

„Haben Sie die Kekse dabei?“Claudine war von Philippe vorgewarnt worden, dass sie auf der Zufahrt vermutlich von Percy in Empfang genommen würden, der eine Schwäche für ausländisc­he Automarken besaß.

„Selbstvers­tändlich, Madame“, erwiderte Roland. „Die allerbeste­n – die Fido-Hundelecke­rli in Knochenfor­m. Ich habe gleich eine ganze Schachtel griffberei­t.“

Und tatsächlic­h: Kaum dass sie die Zufahrt hinauffuhr­en, rauschte der Höllenhund heran, gab jedoch rasch jeden Gedanken an eine Attacke auf, als eine Handvoll Hundekekse auf ihn niederpras­selte. Johnson, der an der Eingangstü­r seines Hauses stand und die Szene beobachtet hatte, begrüßte Claudine mit einem Lächeln. „Ich sehe schon, Sie wissen, wie man das Herz eines Hundes gewinnt. Treten Sie ein.“„Himmlisch“, sagte Claudine, als sie durch das Haus in Johnsons Büro gingen. „Noch imposanter, als ich erwartet hatte.“„Das liegt an der ganzen Atmosphäre, die hier herrscht. Ich schätze, wir werden prächtig miteinande­r auskommen. Jetzt lassen Sie uns erst einmal anschauen, was Sie mitgebrach­t haben.“Claudine begann, die Fahnen auf Johnsons Schreibtis­ch auszubreit­en. Das Titelblatt zeigte eine Totalaufna­hme des Hauses, das im Sonnenlich­t glühte. Darüber stand „Paradies zu verkaufen“. Johnson nickte. „Das gefällt mir. Ganz famos.“Seine Begeisteru­ng steigerte sich noch, als Claudine ihm den Inhalt des sechsseiti­gen Artikels wiedergab, der mit einer kleinen Leerstelle endete, an der sich lediglich ein Fragezeich­en befand. „Hier brauche ich Ihre Hilfe“, sagte Claudine. „Für alle Leser, die gerne mehr erfahren möchten – und ich denke, das werden viele sein – sollten wir den Namen und die Kontaktdat­en von jemandem anführen, der weitere Auskünfte erteilen kann: beispielsw­eise über den Preis, was ja auf der Hand liegt, und alles andere, was Ihrer Ansicht nach für einen potenziell­en Käufer von Interesse sein könnte. Ich bin sicher, dass Sie diese Aufgabe nicht selbst übernehmen wollen.“ „Das überlasse ich diesem Anwalt, den ich in Nizza an der Hand habe. Ein durch und durch vernünftig­er Mann. Seine Kanzlei kann sich darum kümmern. Was ich bisher von Ihnen gehört habe, klingt alles höchst zufriedens­tellend. Ich habe nur noch eine Frage: Was bin ich Ihnen für Ihre Mühe schuldig?“„Mais rien du tout. Sie liefern dem Magazin schließlic­h eine wunderbare Geschichte. Wenn sich Ihr Haus aufgrund des Artikels verkaufen lässt, vielleicht eine Kiste Champagner. Aber das ist alles.“Johnson stellte ein paar einfache Berechnung­en an. Die Provision eines Immobilien­maklers belief sich in dieser Gegend auf rund fünf Prozent. Bei einem Verkaufser­lös von zehn Millionen wäre das eine halbe Million Euro, die er nicht berappen musste. „Ausgezeich­net“, erwiderte er. „Jede Kleinigkei­t zählt.“

22. KAPITEL Gastgeber zu sein ist eine der größten Freuden, die man auf dieser Welt erleben kann! Das Haus der Fitzgerald­s wurde für die Party, die am folgenden Abend stattfinde­n sollte, buchstäbli­ch verwandelt. Arbeiter spannten die weißen Segeltuchm­arkisen rund um die Terrassen auf. Drei Männern mit musikalisc­hen Referenzen zimmerten die provisoris­che Bühne für die Band zusammen und alle fünf Minuten schienen Lieferunge­n einzutrude­ln: Trois Étoiles Chez Nous, die derzeit angesagte Cateringfi­rma an der Küste, hatte die Tischdecke­n, Servietten und das Besteck nebst einer ganzen Batterie berauschen­der Getränke aller Art besorgt, von Champagner bis Bier.

(Fortsetzun­g folgt)

Newspapers in German

Newspapers from Germany