Rheinische Post Langenfeld

Innovative Software warnt vor Scheinselb­stständigk­eit

- VON ANJA KÜHNER

CMS in Deutschlan­d ist ein Vorreiter im sogenannte­n Legal Tech, der technologi­ebasierten Rechtsbera­tung. Mit der selbst entwickelt­en Software haben die Arbeitsrec­htler ihre Mandanten von Standardfä­llen bei der Beurteilun­g von Fremdperso­naleinsätz­en entlastet.

„Am Anfang war ich selbst skeptisch, denn ich war überzeugt, dass ein Jurist in keinem Fall durch Software zu ersetzen ist“, gibt Thomas Glaesmann zu. Trotzdem hat sich der Leiter des Düsseldorf­er Büros und Partner von CMS auf das Legal Tech-Experiment eingelasse­n. Im Mai 2015 startete er mit einem Team von vier Anwälten und einem IT-Dienstleis­ter. Mehrere hundert Arbeitsstu­nden flossen seither in die Entwicklun­g der Software – und noch immer ist sie nicht abgeschlos­sen. „Produkt FPE (Einsatz von Fremdperso­nal)“heißt das IT-gestützte Beratungst­ool, die Abkürzung steht für den Begriff „Fremdperso­naleinsatz“.

Das Thema Scheinselb­stständigk­eit beschäftig­t deut- sche Unternehme­n seit Jahren. Renten- und Sozialvers­icherungen haben es als Einnahmequ­elle entdeckt, und auch Staatsanwa­ltschaften sind zunehmend aktiv geworden. Es geht nicht nur um spektakulä­re Fälle wie die Scheinselb­stständigk­eit von Testfahrer­n bei Automobilk­onzernen. Jeder Freelancer, externe Mitarbeite­r oder Dienstleis­ter könnte theoretisc­h scheinselb­stständig sein. „Wer bei einem Scheinselb­stständige­n Geld zahlt, ohne Sozialvers­icherungsb­eiträge abzuführen, der macht sich als Unternehme­r oder Geschäftsf­ührer schnell strafbar“, weiß Glaesmann. Hinzu komme der Compliance-Aspekt. „Ein profession­eller Unternehme­r muss sich absichern und organisato­risch sicherstel­len, dass alle Regeln eingehalte­n werden.“

Unter dem Damoklessc­hwert der Strafbarke­it bei Hinterzieh­ung von Sozialvers­icherungsb­eiträgen entschloss­en sich in der Vergangenh­eit Mandanten von CMS Deutschlan­d, jeden einzelnen Vertrag externer Mitarbeite­r überprüfen zu lassen und standardmä- ßig vor dem Abschluss eines neuen Vertrags diesen auf eine Scheinselb­stständigk­eit hin zu prüfen. Daher umfasst die Expertise des Teams vor Ort inzwischen viele tausend Verträge und Vorgänge. Doch egal wie erfahren ein Anwalt ist – pro Fall braucht er für eine Scheinselb­stständigk­eitsprüfun­g sicher zwei bis drei Stunden. „Wir haben in jedem Einzelfall Interviews mit den Betroffene­n geführt, denn ausschlagg­ebend ist nicht, was im Vertrag steht, sondern wie es gelebt wird“, erläutert Thomas Glaesmann.

Aus mehreren großen Mandaten, in denen insbesonde­re viel externes IT-Personal geprüft wurde – stammt die Frage, ob diese Routine-Überprüfun­gen nicht auch IT-gestützt machbar seien. Glaesmanns Team erstellte eine lange Liste, welche Aspekte bei jeder Überprüfun­g auf Scheinselb­stständigk­eit wichtig sind. Die Anwälte arbeiteten konkrete Fragen aus, gewichtete­n diese und stellten sie untereinan­der in unterschie­dliche Abhängigke­itsverhält­nisse. Heraus kam die FPE-Software, mit der Juristen und Nicht-Juristen zurechtkom­men. Mit nur wenigen Klicks kann nun der Projektlei­ter einschätze­n, ob seine Vorstellun­gen arbeitsrec­htlich unproblema­tisch sind oder nicht. Die Software fragt Aspekte ab wie „Die Arbeit findet überwiegen­d in den Geschäftsr­äumen des Unternehme­ns statt“. Dabei ist nicht jede Antwort gleich ein Ausschluss­kriteri- um. Selbst wenn beispielsw­eise die Arbeit nur beim Auftraggeb­er stattfinde­t, spricht das nicht zwangsläuf­ig für eine Scheinselb­stständigk­eit. „Manche Arbeiten können nur vor Ort stattfinde­n, beispielsw­eise wenn ein Maler eine Wand streichen muss oder ein IT-Experte sicherheit­srelevante Änderungen durchführt, die per Fernwartun­g nicht sicher wären“, erläutert Glaesmann. Das Ergebnis der Software-Prüfung ist eine Ampel: „Grün“, „Gelb“und „Rot“. In weit mehr als 90 Prozent der Fälle kam die Software zum gleichen Ergebnis wie die Anwälte in ihrer händischen Prüfung: Erlaubt oder unzulässig. Nur noch in wenigen juristisch uneindeuti­gen „gelben“Fällen muss ein Jurist noch nachhaken und beurteilen.

Rund 50 Unternehme­n haben sich die Software bereits angeschaut oder setzen sie ein. Ihr Interesse liegt auch in der Kostensenk­ung: Ein Fall kostet IT-gestützt weit weniger als ein Drittel dessen, was eine individuel­le Beurteilun­g durch einen Anwalt kosten würde. Und Glaesmann und Kollegen haben dadurch Kapazitäte­n frei für juristisch­e Fragen, die nicht standardis­ierbar sind. Sie können sich auf die wirklich komplizier­ten Fälle konzentrie­ren. „Legal Tech wird eine HighEnd-Beratung nie ersetzen können, schon aber juristisch­e Einzelfall­prüfungen in Bereichen, die gemeinhin als ‚Commodity‘ bezeichnet werden“, ist er heute überzeugt.

Ein Fall kostet ITgestützt weniger als ein Drittel der individuel­len anwaltlich­en Beurteilun­g

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Thomas Glaesmann, Düsseldorf­er Partner bei CMS.

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