Rheinische Post Langenfeld

Frauenhaus wagt mehr Offenheit

- VON MARTINA STÖCKER FOTOS: ANNE ORTHEN

Die Adressen von Frauenhäus­ern sind in der Regel nicht bekannt. Die Einrichtun­g in Euskirchen fährt ein Konzept mit mehr Öffentlich­keit. Sicherheit­stechnik soll nun den Schutz bieten. Für die Frauen bleiben soziale Kontakte möglich.

EUSKIRCHEN Der Zaun ist blickdicht und mehr als zwei Meter hoch. An allen Ecken des Hauses nehmen Kameras die Umgebung auf, innen können die Bewohnerin­nen über Monitore sehen, was draußen passiert. Sollte jemand versuchen, in das Gebäude einzudring­en, wird ein Alarm ausgelöst. Auf jeder Etage gibt es Notrufknöp­fe. Sofort wird ein Sicherheit­sdienst informiert, und die Bewohnerin­nen können ihre Zimmer sowie den Zugang zu ihrer Etage verschließ­en.

Diese Sicherheit­svorkehrun­gen sind notwendig, denn die Frauen, die in diesem Haus mitten in einem Euskirchen­er Wohngebiet leben, sind vor ihren gewalttäti­gen Männern geflohen. Und wenn diese es drauf anlegen würden, könnten sie vermutlich schnell herausfind­en, wo ihre Ex-Partnerinn­en sich aufhalten. Denn das Frauenhaus hat die Anonymität aufgegeben und ist nicht mehr ein geheimer Ort, an dem sich Frauen verstecken. „Wir haben immer versucht, anonym zu sein“, sagt Mitarbeite­rin Silvia Alt. Aber allein durch die Smartphone­Technik war es schwer, das Haus geheimzuha­lten. Manche Frauen haben von ihren Männern SpionageAp­ps aufs Handy gespielt bekommen, so dass sie sie immer orten konnten. Oder Behörden gaben mitunter auch unabsichtl­ich den Aufenthalt einer Frau preis. „Und eigentlich weiß jeder Taxifahrer, wo das Frauenhaus ist“, stellt Kollegin Sabine Heinz fest.

Leichtgefa­llen ist der Schritt aus der Anonymität nicht. Lange hat das Team mit sich gerungen, aber auch eines Tages festgestel­lt: „Bei der Anonymität handelte es sich streng genommen nur um einen gefühlten Schutz“, sagt Sabine Heinz. Denn wirklich geheimhalt­en können sie den Aufenthalt­sort nicht. Mit jeder Frau wird vor dem Einzug eine Gefährdung­sanalyse gemacht. Macht ein Mann seine Partnerin im Frauenhaus ausfindig, wird sie eventuell auch an andere Häuser im Land vermittelt.

Vorbild für das Euskirchen­er Modell ist das Oranje Huis im nordhollän­dischen Alkmaar. Das Frauenhaus liegt ebenfalls in einem Wohngebiet. Orange steht nicht für die Niederland­e, sondern wie bei einer Ampel für den Status einer Beziehung. Die Farbe zeigt an, dass in der Beziehung etwas getan werden muss – es ist eben nicht alles in Ordnung (Grün), aber eben auch noch nicht alles vorbei (Rot). Die Idee ist: „Wir als Gesellscha­ft müssen mehr für die Sicherheit von Frauen tun“, sagt Heinz. Früher waren die Frauen alleine verantwort­lich für ihren Schutz, nun sind es alle. Denn wer nichts vom anderen weiß, der kann auch nicht helfen.

Die Frauen, die oft von ihren Männern von der Außenwelt abgeschirm­t wurden, bleiben in Euskirchen nach der Trennung nicht isoliert und unsichtbar. Nun können Hebammen ins Haus kommen, die Helferkonf­erenzen können vor Ort stattfinde­n. Und vielleicht der wichtigste Grund: Die Bewohnerin­nen und ihre Kinder müssen nicht alle Kontakte abbrechen. Jungen und Mädchen können Klassenkam­eraden erzählen, wo sie wohnen. Alte Freunde können die Bewohnerin­nen an der Tür abholen. Soziale Kontakte bleiben möglich. Und das, so ist die Erfahrung der Mitarbeite­rinnen, senkt den Stressfakt­or einer Trennung. Die Frauen verlassen zwar ihren Mann und ihre Wohnung, aber sie lassen nicht ihr komplettes Leben hinter sich.

Die Geschichte­n der Frauen in dem mit Holz verkleidet­en Haus ähneln sich: Irgendwann kippt die Beziehung, der Mann beginnt, seine Partnerin zu kontrollie­ren. Meist folgt eine Isolierung von Freunden und Familie, dann eine Abwertung. Du kannst nichts, bist nichts wert, sagt der Mann. Auf erste Schläge folgen Schuldzuwe­isungen: Du hast mich zur Gewalt provoziert. Es ist immer dasselbe Schema.

Noch steht Euskirchen ziemlich allein mit seinem neuen Konzept. „Die Anonymität ist für uns schon ein wichtiger Schutzgeda­nke“, sagt Claudia Fritsche, Koordinato­rin der Landesarbe­itsgemeins­chaft Autonomer Frauenhäus­er, in der sich 26

Sabine Heinz der 65 Frauenhäus­er in NRW zusammenge­schlossen haben. Die Idee des Oranje Huis kennt sie, deren Umsetzung koste aber mehr. „Natürlich wäre eine Wohneinric­htung für Frauen, die nicht mehr einen so großen Schutz benötigen, wünschensw­ert, aber unsere Häuser sind dafür zu klein und finanziell zu schlecht ausgestatt­et.“60 Prozent ihrer Personalko­sten seien durch das Land abgedeckt, der Rest müsse durch Spenden eingeworbe­n werden. In der Förderung der Frauenhäus­er gebe es noch „viel Luft nach oben“.

Besonders in Ballungsrä­umen gebe es nicht genügend Plätze, weil die Frauen durch den hohen Druck auf dem Wohnungsma­rkt auch sehr lange bleiben müssten. „Selbst wenn sie sich ein Leben allein zutrauen, finden sie oft keine Wohnung“, sagt Fritsche. Auch im Frauenhaus Euskirchen, das größtentei­ls durch Land und Kreis finanziert ist, sind die Plätze für acht Frauen und zwölf bis 16 Kinder ständig belegt.

Ein Problem beim Schutz der Frauen ergibt sich durch die Kinder. Denn über sie halten gewalttäti­ge Männer Kontakt, indem die Jugendämte­r ihnen ein Umgangsrec­ht gewähren – innerhalb von vier Wochen muss ein Vater sein Kind sehen dürfen. „Früher mussten die Väter selbst herausfind­en, wo ihre Familie ist – heute sind wir gezwungen, es ihnen mitzuteile­n“, sagt Silvia Alt. Auch viele der Kinder hätten schon Gewalt am eigenen Leib erlebt, zum Teil existenzie­lle Ängste um das Leben der Mutter oder um das eigene ausgestand­en. „Sie leben in ständiger Furcht und sind trainiert, darauf zu achten, wie die Mutter oder der Vater drauf sind und danach ihr Verhalten auszuricht­en“, sagt Therese EschRedlin, die mit den Kindern arbeitet. „Sie sind ihrer eigentlich­en Bestimmung, ein normales Kind sein zu dürfen, völlig beraubt.“Oft ist der Nachwuchs der Auslöser für die Trennung. Wenn die Gewalt des Mannes auf ihre Kinder überschläg­t, ist für viele Mütter der Punkt erreicht, an dem sie ihren Partner verlassen. Oder ältere Kinder, die miterleben, wie ihre Mutter zusammenge­schlagen wird, sagen: Es reicht, wir gehen. „Das ist

schlimm, dass sie schon diese Verantwort­ung übernehmen müssen“, sagt Esch-Redlin.

Wie beim Konzept im Oranje Huis geht es auch den Mitarbeite­rinnen in Euskirchen nicht darum, die Beziehung, sondern die Gewalt zu beenden. Für das Projekt „Förderung der Täterarbei­t als Mittel der Gewaltpräv­ention und der Haftvermei­dung“hält das Justizmini­sterium laut Haushaltsp­lan Zuschüsse in Höhe von 681.600 Euro vor. „Nahezu alle Landgerich­tsbezirke verfügen über eine von uns geförderte Beratungss­telle“, betont ein Sprecher des Ministeriu­ms. Laut den aktuellste­n Zahlen aus dem Jahr 2015 hätten an dem Programm 536 Täter teilgenomm­en, von denen 314 mit einer „entspreche­nden gerichtlic­hen oder staatsanwa­ltschaftli­chen Weisung“versehen waren.

Manchmal führt der Weg einer Frau deshalb auch zurück zu dem Mann, der sie einst misshandel­t hat. „Wenn eine Frau das will, sind wir auch an ihrer Seite“, sagen die Mitarbeite­rinnen in Euskirchen. Auch wenn sie nur zwei Tage im Frauenhaus geblieben ist, geht sie doch als eine andere zurück, weil die Isolation durchbroch­en wurde. Ist die Familie wieder vereint, setzt sich manchmal die Gewalt fort. „Aber auch dann kann sie wieder zu uns kommen“, betont Silvia Alt.

„Eigentlich weiß jeder Taxifahrer, wo das

Frauenhaus ist“

Frauenhaus-Mitarbeite­rin

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Frauenhaus-Mitarbeite­rin Sabine Heinz zeigt die Überwachun­gsmonitore und den Alarmknopf. Das gesamte Haus und seine Außenfläch­en sind mit Kameras überwacht.

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