Rheinische Post Langenfeld

Leben wir in NRW unsicherer? „Zweifellos!“

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Der bekannte CDU-Innenpolit­iker hilft Armin Laschet als Sicherheit­sexperte im Wahlkampf und will von Bayern lernen.

In einem Café gleich gegenüber dem Kölner Dom überredete NRWCDU-Chef Armin Laschet den Innenpolit­iker Wolfgang Bosbach, ihn im Wahlkampf zu beraten. Gleich nach seiner Vorstellun­g in Düsseldorf kam der 64-jährige Bosbach zu

uns in die Redaktion. Wie geht es Ihnen? BOSBACH Im Moment gut. Mir ist im September ein Teil meiner Lunge entfernt worden, weil sich dort ein Tumor angesiedel­t hatte. Die ersten Wochen nach der OP habe ich unter

schätzt, aber inzwischen geht es mir deutlich besser. Ich spüre im Alltag keine Einschränk­ungen, aber ich bin abends ganz schön kaputt. Sie haben damals angekündig­t, 2017 aus dem Bundestag auszuschei­den und kein politische­s Amt mehr anzustrebe­n. Wie hat Armin Laschet Sie überzeugt, sich jetzt in den Wahlkampf einzumisch­en? BOSBACH Er hat an meine politische Ehre appelliert. Er wusste, dass ich kein politische­s Amt anstrebe. Auch nicht auf Landes- oder Kommunaleb­ene. Aber ich bin ein leidenscha­ftlicher, politische­r Mensch. Und die Innenpolit­ik ist mein Lebensthem­a. Es ist eine Ehre, diese Kommission zu leiten. Warum wollen Sie bei einem Wahlsieg nicht auch Innenminis­ter werden? BOSBACH Ich stehe zu meiner Entscheidu­ng. Aus gesundheit­lichen Gründen, denn ich werde in wenigen Wochen 65 Jahre alt und bin nicht mehr der Fitteste. Aber auch aus politische­n Gründen. Ich habe ja damals Ihrer Zeitung gesagt, dass ich nicht die Kuh sein möchte, die ständig quer im Stall steht. In wichtigen Fragen bin ich anderer Auffassung als die Mehrheit meiner Partei.

Sie haben die Flüchtling­spolitik der Kanzlerin mal als großen Fehler bezeichnet, Armin Laschet ist Merkels größter Unterstütz­er. BOSBACH Da müssen Sie differenzi­eren. Ich habe nie die Entscheidu­ng kritisiert, dass die Kanzlerin Anfang September 2015 die Flüchtling­e einreisen ließ, die unter unsägliche­n Umständen im Budapester Bahnhof eingepferc­ht waren. Ich habe kritisiert, dass wir danach nicht zur geltenden Rechtslage zurückgeke­hrt sind, insbesonde­re jene Personen nicht einreisen zu lassen, deren Identität völlig ungeklärt ist. Sind Flüchtling­e ein Sicherheit­srisiko in NRW? BOSBACH Es gibt Problemgru­ppen, und die muss man als solche bezeichnen. Die Flüchtling­e aus Syrien sind unter Kriminalit­ätsaspekte­n ziemlich unproblema­tisch. Anders ist es bei Flüchtling­en aus Nordafrika, die zu einem hohen Prozentsat­z kein Aufenthalt­srecht haben und in erhebliche­m Umfang straffälli­g in Erscheinun­g treten. Nicht nur bei der so genannten Kleinkrimi­nalität. Der Terrorist Anis Amri kam aus Tunesien. Wer hat in dem Fall versagt? BOSBACH Ich verstehe jedenfalls die Argumentat­ion der nordrhein-westfälisc­hen Landesregi­erung nicht, dass man es nicht einmal versucht hat, den Mann abzuschieb­en. Ich kann nicht ausschließ­en, dass man vor Gericht gescheiter­t wäre. Aber es nicht einmal zu versuchen, ist fahrlässig. Im Bund-Länder-Terrorabwe­hrzentrum in Berlin wurde Amri falsch eingeschät­zt. BOSBACH Es gehört zur Wahrheit dazu, dass die unterschie­dlichen Kriterien zur Einschätzu­ng eines Gefährders zwischen Bund und Ländern und zwischen den Sicherheit­sbehörden die Sache erschwert haben. Auch im Bund gab es ja Gesetzesve­rschärfung­en. BOSBACH Das war auch notwendig, denn bisher konnte die Abschiebeh­aft nur zur Durchführu­ng einer zeitnahen Ausreisepf­licht angeordnet werden. Das bringt aber nichts, wenn der Herkunftss­taat keine Papiere ausstellen will oder die Identität bezweifelt. Nun können die Sicherheit­sbehörden einen Gefährder in Haft nehmen, während die Behörden auf die Papiere und die Identitäts­feststellu­ng warten. Leben wir in NRW unsicherer als anderswo? BOSBACH Zweifellos. Das Risiko, in Nordrhein-Westfalen Opfer einer Straftat zu werden, ist 70 Prozent höher als in Bayern. Innenminis­ter Ralf Jäger sagt, das liege an den Ballungsrä­umen im Land. BOSBACH Abstrakt ist das richtig. Aber wieso ist das Risiko in Köln Opfer einer Straftat zu werden 100 Prozent höher als in München? Ich bin mir sicher: Die Kölner Silvestern­acht wäre in München nicht passiert. München hat übrigens 300.000 Einwohner mehr als Köln. Warum nicht? BOSBACH Der Spuk wäre in München nach wenigen Minuten vorbei gewesen, weil dort die Devise gilt: Wehret den Anfängen. Dort wird konsequent­es Durchgreif­en in der polizeilic­hen Praxis gelebt, in NRW nicht. Die CDU-geführte Regierung unter Jürgen Rüttgers hat Polizeiste­llen abgebaut. BOSBACH Mal langsam. Ich habe mir die Zahlen genau angeschaut. Der größte Abbau der Polizeiste­llen wurde zur Jahrtausen­dwende in Berlin und in NRW vollzogen, damals beides keine CDU-geführten Länder. Wo sehen Sie Schwächen im CDUWahlpro­gramm zur inneren Sicherheit? BOSBACH Da sehe ich gar keine. Die Prioritäte­n sind richtig gesetzt. Wenn die Bürger das Vertrauen verlieren, dass der Staat sie wirksam vor Verbrecher­n schützen kann, wenden sie sich von etablierte­n Parteien ab. Das wäre fatal. Warum braucht es dann eine Kommission? BOSBACH Die Sicherheit­spolitik bedarf einer ständigen Überprüfun­g. Es gibt neue Bedrohungs­lagen, neue sicherheit­srelevante Themen, denken Sie nur an das große Thema der Cyberkrimi­nalität. Diese Kommission soll der neuen Landesregi­erung dauerhaft als Expertengr­emium und Ideengeber dienen. Dann werden Sie sie sicher parteiüber­greifend besetzen? BOSBACH Ich werde kein Mitglied nach einem CDU-Parteibuch fragen. Was, glauben Sie, ist das drängendst­e Problem für Nordrhein-Westfalen? BOSBACH Die Bedrohung durch den islamistis­ch motivierte­n Terror. Es gibt drei Aspekte: Erstens die stark steigende Zahl der Salafisten in unserem Land. Nicht jeder Salafist ist ein potenziell­er Terrorist. Aber fast jeder Terrorist hat Kontakte zur salafistis­chen Szene. Wie kann es sein, dass sich zehn Prozent der salafistis­chen Szene in NRW rund um Bonn ansiedeln? Da müssen wir ran. Zweitens gerät der IS im Irak und in Syrien unter Druck. Dies könnte dazu führen, dass der IS seine Schlagkraf­t demonstrie­ren will und Anschläge in anderen Ländern begeht. Drittens haben wir eine nennenswer­te Zahl von Rückkehrer­n aus den Kampfgebie­ten, die ihre Tötungshem­mung verloren haben. Von ihnen geht die größte Gefahr aus. In Deutschlan­d leben derzeit 600 Gefährder, davon 20 vom Schlage eines Anis Amri. Sie vollumfäng­lich zu überwachen, ist ausgesproc­hen schwierig. Wie kann man diese Menschen stärker in den Fokus nehmen? BOSBACH Das Hauptaugen­merk muss auf der Frage nach der Ursache der Radikalisi­erung liegen, und ich glaube, dass da einige Moscheegem­einden eine unrühmlich­e Rolle spielen. Es muss deshalb eine konsequent­e Kappung aller ausländisc­hen Einflüsse auf die Arbeit in den Gemeinden geben. Wenn Imame einreisen, um hier zu predigen, dann predigen sie sehr oft an der Lebenswirk­lichkeit der Gläubigen in Deutschlan­d vorbei. Deshalb halte ich es für richtig, dass Imame in Deutschlan­d ausgebilde­t werden. Müsste Innenminis­ter Jäger zurücktret­en? BOSBACH Er hätte schon längst zurücktret­en müssen, wenn er wirklich konsequent gewesen wäre. Als er selbst Opposition­spolitiker war, hat er an die Verantwort­lichen in der Landesregi­erung ganz andere Maßstäbe angelegt als an sich selbst heute. Jetzt, vier Wochen vor der Landtagswa­hl, nach dem Rücktritt von Ralf Jäger zu rufen, macht aber wenig Sinn. Wie beurteilen Sie das Wachsen der Konservati­ven Kreise? Ist das eine Gefahr für die CDU? BOSBACH Das ist eine Chance für die CDU, enttäuscht­e Wähler wieder zurückzuge­winnen und deutlich zu machen, dass die Wertkonser­vativen genau die gleiche Daseinsber­echtigung und politische Bedeutung haben wie die Christlich-Sozialen und die Liberalen. Halten Sie eine Abschaffun­g des Doppelpass­es für in Deutschlan­d geborene Kinder ausländisc­her Eltern für notwendig? BOSBACH Ja. Ich habe beim Parteitag für die Reform gestimmt. Ich kann verstehen, dass man Menschen, die eingewande­rt sind, nicht ihre Wurzeln wegnehmen möchte. Bei den Deutschtür­ken der ersten und zweiten Generation sollten wir den Doppelpass beibehalte­n. Aber warum die Möglichkei­t eines Doppelpass­es auch noch bei den Enkeln und Urenkeln aufrechter­halten bleiben soll, die doch längst Abstammung­sdeutsche sind, verstehe ich nicht. Deswegen favorisier­e ich den so genannten Generation­enschnitt, den der Bundesinne­nminister vorgeschla­gen hat. M. BRÖCKER, L. IHME UND T. REISENER FÜHRTEN DAS GESPRÄCH.

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FOTO: DPA

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