Neuer Neanderthaler ist jetzt im Museum eingetroffen
Die niederländischen Paläo-Künstler Adrie und Alfons Kennis haben den Körper eines etwa 16 Jahre alt gewordenen jungen Mannes geschaffen.
METTMANN Gut Ding will Weile haben und ein starker Charakter muss reifen. So musste Bärbel Auffermann über den langen Winter auf die Ankunft der letzten der sechs neuen Hominidenfiguren im Neanderthal Museum warten: „Die beiden haben zwei Monate nur am Gesichtsausdruck gearbeitet.“Mit den beiden meint die stellvertretende Direktorin die Zwillinge Adrie und Alfons Kennis. Die niederländischen Paläo-Künstler haben mit der Rekonstruktion des Körpers eines etwa 16 Jahre alt gewordenen jungen Mannes ihre neunte Arbeit für das Museum geschaffen.
Die Genese dieser Skulptur klingt sagengleich. Vor 15 Jahren fanden Forscher im rumänischen Pestera cu Oase ein auffälliges Schädelteil. Wie ein DNA-Test bewies, stellte der Fund tatsächlich eine Besonderheit dar, denn er enthält zu neun Prozent Gene des Neanderthalers – heutige Europäer kommen nur auf die Hälfte dieses Wertes. Vor 40.000 Jahren lebten sowohl moderne Menschen als auch Neanderthaler und konnten sich daher vermischen. Um dem Schädelfragment ein Gesicht zu geben, sprachen die Kennis-Brüder mit erfahrenen Pathologen und nutzen forensische Verfahren für die Rekonstruktion. Die Verläufe der zahllosen Mimikmuskeln und die Dicke der formenden Fettschichten konnten so berechnet werden. Zwar gäbe es heute 3D-Drucker – Adrie Kennis bekennt sich aber zum klassischen Handwerk: „Ich arbeite immer noch schneller als die Kollegen mit den Computern.“Die Grundsubstanz des Figurkörpers bildet ein Speziallehm.
In ihrem lichtdurchfluteten Reihenhausatelier in Arnheim können die Bildhauer auf einen umfangreichen Fundus von Knochenmodellen zurückgreifen. Doch keines der Vorbilder heutiger asiatischer, afrikanischer oder kaukasischer Skelette mochte so recht passen. Ein großer Mund und eine flache Nase konnten der Kieferpartie praktisch nachgezeichnet werden; über die Struktur der Haare oder die Farbe der Haut wurde nur anhand von Wahrscheinlichkeit spekuliert. Bis dieser junge Rumäne einen eigenen Namen erhält, nennt ihn Adrie Kennis einfach „Er“. Angekleidet wurde Er von Museumsmitarbeiter Till Knechtges. Da es keine ausreichenden Erkenntnisse über die Kleidung der Steinzeit gibt, nahm sich der Archäologe dafür die Mode der in den vergangenen Jahrhunderten in ähnlichem Klima naturnah lebenden Inuit zum Vorbild. Das schützende Cape ist aus rauchgegerbtem Hirschleder und die Hose aus Fuchsfell mit Tiersehnen genäht. Lässig stützt sich der unbewegte Neuankömmling im Museum an einem Holzstab ab. Knechtges „Es kann etwa zur Verteidigung, zum Wandern oder zum Bau eines Zeltes verwendet werden.“