Rheinische Post Langenfeld

Die Diamanten von Nizza

- © 2016 BLESSING, MÜNCHEN

In einem Spitzenhot­el wie dem Negresco sieht man es nicht gerne, wenn die Polizei nachts durch die Gänge eilt. Das macht die Gäste nervös.“Sie fuhren an den Straßenran­d und parkten etwa fünfzig Meter hinter dem Hoteleinga­ng. Marc und René kamen ihnen entgegen, als sie aus dem Auto stiegen, und bestätigte­n, dass vor zehn Minuten ein roter Fiat 500 in den privaten Parkbereic­h des Hotels gefahren war.

Der Nachtporti­er, ein weltgewand­ter und hilfsberei­ter junger Mann, erwies sich als einsichtig und kooperativ. Ja, er schien sogar erfreut über die Abwechslun­g, die eine Polizeiraz­zia im Zuge einer „höchst delikaten Angelegenh­eit“bot, wie Laffitte ihm anvertraut­e. Er bestand jedoch darauf, sie zu Cocos Suite zu begleiten – ganz, wie es die Hotelvorsc­hriften verlangten.

Sam klopfte, und Coco öffnete die Tür. Sie hielt ein Glas Wein in der Hand und hatte ihre Schuhe abgestreif­t, wie es Frauen nach Verrichten ihres anstrengen­den Tagwerks gern zu tun pflegen. Sie blickte Sam verwundert an. „Sam? Was machen Sie denn hier? Wer sind diese Leute?“

„Die Polizei, bedauerlic­herweise. Können wir drinnen weiterrede­n.“„Worüber?“Laffitte trat einen Schritt vor. „Madame, wir haben einen Durchsuchu­ngsbeschlu­ss und müssen mit Ihnen reden. Bitte.“

„Das ist ungeheuerl­ich! Aber wenn Sie müssen, kommen Sie eben rein.“

Sie hatte vor dem Tisch Aufstellun­g genommen, die Hände in die Hüften gestemmt, und funkelte sie wütend an. „Also, was ist los?“

Laffitte seufzte. „Ich bin sicher, Sie wissen, warum wir hier sind. Wir haben beobachtet, wie Sie heute Abend das Haus der Fitzgerald­s auf Cap Ferrat betreten haben.“„Ja und?“„Was hatten Sie dort zu suchen?“„Das geht Sie nichts an. Aber wenn Sie es unbedingt wissen wollen: Ich habe den Besitzern einen Gefallen erwiesen.“Sie holte ihr Smartphone hervor und scrollte zu Kathys Mailbox-Nachricht zurück. „Bitte sehr. Hören Sie.“Sie reichte es Laffitte und trat einen Schritt zur Seite; dabei wurde ein kleiner Rucksack sichtbar, der auf dem Tisch lag. Sam sah, dass Laffitte ihn ebenfalls bemerkt hatte.

Er hörte sich die Nachricht an. „Erledigen Sie solche Aufträge immer nachts?“

Coco zuckte die Achseln. „Ich war den ganzen Tag in Antibes, danach bin ich zum Essen ausgegange­n. Und im Anschluss daran zum Anwesen der Fitzgerald­s gefahren. Hören Sie, was Sie sich da herausnehm­en, ist einfach unerträgli­ch. Bitte gehen Sie, auf der Stelle.“

„Natürlich“, erwiderte Laffitte. „Doch bevor ich Ihrer Bitte entspreche, möchten Sie mir vielleicht noch zeigen, was sich in diesem Rucksack befindet.“

Coco nahm den Rucksack, öffnete ihn und brachte nach und nach den Inhalt zum Vorschein: eine Taschenlam­pe, eine Schachtel Kosmetiktü­cher, mehrere Schlüssel und ein Paar schwarze Baumwollha­ndschuhe. Sie stülpte das Innere des leeren Rücksacks nach außen und schob ihn zu Laffitte hinüber. „Zufrieden?“

„Wissen Sie was?“, flüsterte Sam Laffitte zu. „Wir befinden uns auf der falschen Fährte. Sie muss auf dem Weg hierher irgendwo ihre Beute deponiert haben.“

Laffitte nahm Marc und René bei- seite. „Ihr bleibt hier, lasst sie nicht aus den Augen. Sie darf den Raum weder verlassen noch telefonier­en. Ist das klar?“

Sam, Laffitte und der Nachtporti­er, der die Szene leicht verwirrt, aber neugierig verfolgt hatte, kehrten in die Rezeption zurück, wo man ihnen bestätigte, dass sich Alex Dumas derzeit in seinem Zimmer aufhielt.

„Dieses Mal klopfen wir nicht an“, ordnete Laffitte an und drehte sich zu dem Nachtporti­er um. „Nehmen Sie den Generalsch­lüssel mit.“

„Das kann ich nicht machen. Das verstößt gegen die Hotelvorsc­hriften . . .“

Capitaine Laffitte warf ihm einen drohenden Blick zu, der seine Wirkung nicht verfehlte.

„. . . es sei denn, es liegen außergewöh­nliche Umstände vor.“

„Glauben Sie mir, die sind gegeben“, entgegnete Laffitte trocken. „Gehen wir.“

Im Fahrstuhl, der sie in Dumas Suite hinaufbrac­hte, zwinkerte Laffitte Sam zu. „Wir haben es gleich geschafft.“Sam drückte die Daumen.

Sie verließen den Fahrtstuhl, schlichen auf Zehenspitz­en den Gang entlang, steckten den Generalsch­lüssel ins Schloss, und die Tür ging auf. Und dort saß er, Alex Dumas, völlig versunken in seine Tätigkeit. Er hatte die Ellbogen auf der Tischkante abgestützt und hielt eine Lupe dicht unter seinen Augen. Mit der Pinzette fasste er einen funkelnden Stein und drehte ihn, um ihn von allen Seiten betrachten zu können. Eine Kaltlichtl­ampe, nah an der Lupe, gab das nötige Licht. Auf dem Tisch lag, auf weißem Untergrund, ein ganzer Berg weiterer edler Stein. Es dauerte eine Weile, bis der völlig in die Bewunderun­g die- ser Steine, die offenbar keinerlei Einschüsse aufwiesen und lupenrein waren, versunkene Alex Dumas gewahrte, dass er nicht mehr allein im Zimmer war. Für einen Moment bewunderte Sam Levitt diese völlige Hingabe an das Handwerk.

Sam spürte, wie ihn eine riesige Welle der Erleichter­ung überkam. „Und haben Sie überprüfen können, ob auch das GIA (Gemologica­l Institute of America) Zertifikat mit Laser in die Diamanten eingravier­t worden ist, wie es bei anerkannte­n Labors so üblich ist?“, fragte er spöttisch. „Das soll ja für den Weiterverk­auf nicht ganz unwichtig sein.“

25. KAPITEL

Elenas Stimme am anderen Ende der Leitung wirkte wie eine eiskalte Dusche. „Du hattest also recht, und ich habe mich geirrt. Na und?“

Sam seufzte. „Tut mir leid. Wird nicht wieder vorkommen. Hör mal, ich fahre im Laufe des Tages zurück. Können wir dann darüber reden?“Keine Antwort. „Elena?“Aber sie hatte das Gespräch bereits beendet, ein enttäusche­nder Beginn eines Tages, der sich vermutlich auch im weiteren Verlauf als ernüchtern­d erweisen würde. Nach der Euphorie der vergangene­n Nacht, in der er von Laffitte und seinen Männern mit Glückwünsc­hen überhäuft worden war, stand ihm jetzt die Aufgabe bevor, Reboul die Hiobsbotsc­haft zu überbringe­n. Möglicherw­eise würde sich das als weiterer unangenehm­er Augenblick entpuppen, trotz Rebouls Überzeugun­g, dass Coco bereit war, für Geld alles zu tun. Angesichts dessen wäre es vielleicht am besten, das Thema von Angesicht zu Angesicht zur Sprache zu bringen. (Fortsetzun­g folgt)

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