Rheinische Post Langenfeld

Loveparade: Genugtuung für die Opfer

- VON REINHARD KOWALEWSKY UND CHRISTIAN SCHWERDTFE­GER

Viele Hinterblie­bene der Katastroph­e hatten nicht mehr damit gerechnet, dass es zu einem Strafproze­ss kommt.

DUISBURG Manfred Reißaus muss sich erst einmal sammeln, als seine Frau Anja ihm gestern Morgen erzählt, dass die Katastroph­e auf der Loveparade in Duisburg doch noch strafrecht­lich vor Gericht aufgearbei­tet wird. „Ich bin fest davon ausgegange­n, dass es zu keinem Strafproze­ss mehr kommt“, sagt der 54Jährige, der bei dem Technofest­ival am 24. Juli 2010 seine 22-jährige Tochter Svenja verlor. „Ich hatte mich damit abgefunden, dass niemand für ihren Tod zur Rechenscha­ft gezogen wird. Dass es nun anders kommt, trifft mich wie ein Paukenschl­ag – im positiven Sinne.“

Für ihn und die Hinterblie­benen der 21 Todesopfer, den mehr als 600 Verletzten sowie den bis heute Traumatisi­erten ist es eine späte Genugtuung, dass es zum Strafproze­ss kommen wird. Sie wünschen sich, dass ihnen endlich jemand sagt, wieso ihre Kinder, Enkelkinde­r, Verwandte und Freunde sterben mussten – und wer dafür die Verantwort­ung zu tragen hat.

Reißaus, der die Hinterblie­benenStift­ung „Duisburg 24.7.2010“gegründet hat, hofft, durch einen Strafproze­ss seinen „inneren Frieden“wieder finden zu können. Er weiß aber, dass es kein einfaches Verfahren werden wird. „Die juristisch­e Aufarbeitu­ng wird langwierig. Ich wünsche mir, dass auch die Polizei und das Land NRW bestraft werden. Denn die sind für mich auch verantwort­lich für die Katastroph­e“, betont er. Doch Vertreter von Land und Polizei sitzen nicht auf der Anklageban­k – bislang jedenfalls, meint Reißaus. Das werde sich ändern, ist er sicher. „Ich habe selbst von Polizisten gehört, dass sie vor Gericht als Zeugen aussagen wollen. Und ihre Aussagen werden ein anderes Licht auf den Polizeiein­satz werfen“, meint der 54-Jährige.

Auch für den Düsseldorf­er Opferanwal­t Julius Reiter, der die Interessen vieler Betroffene­r vertritt, ist es ein Fehler, dass sich niemand von der Polizei unter den Angeklagte­n befindet. Als Sachverstä­ndiger übt er deshalb massive Kritik an Innenminis­ter Ralf Jäger (SPD). „Er hat sich nach der Loveparade-Katastroph­e sofort vor die Polizei gestellt und dadurch eine Aufarbeitu­ng versäumt“, so Reiter. „Der Untersuchu­ngsausschu­ss zur Silvestern­acht hat gezeigt, dass es Parallelen zum Loveparade-Einsatz gab.“So habe es bei beiden Ereignisse­n eine mangelhaft­e Kommunikat­ion bei den Polizisten gegeben. Auch seien zu wenige Beamte eingesetzt worden, die dann überforder­t waren und ohne Handlungss­trategie agierten, betont der Jurist. Der frühere Bundesinne­nminister Gerhart Baum (FDP), mit dem Reiter seine Kanzlei in Düsseldorf betreibt, forderte einen Untersuchu­ngsausschu­ss. „Die Verantwort­lichkeit kann nicht allein auf das Strafverfa­hren reduziert werden“, sagte Baum. Es habe ein „erhebliche­s Organisati­onsverschu­lden der zuständige­n Behörden“gegeben. „Dies kann und muss in der neuen Legislatur­periode durch einen parlamenta­rischen Untersuchu­ngsausschu­ss aufgeklärt werden“, sagte Baum.

Die Präsidenti­n des Oberlandes­gerichts Düsseldorf, Anne-José Paulsen, bat die Opfer und deren Angehörige gestern um Verständni­s, dass die strafrecht­liche Aufarbeitu­ng so lange dauere. Sie wisse, dass das schwer belastend und teilweise schwer nachvollzi­ehbar sei. „Gleichwohl bitte ich Sie um Verständni­s für die nicht immer sofort einleuchte­nden Entscheidu­ngen und Abläufe in der Justiz“, sagte Paulsen. Der Justiz bleibt bis zum 27. Juli 2020 Zeit, ein Urteil zu fällen. Ansonsten tritt zehn Jahre, nachdem das 21. Opfer starb, die Verjährung ein.

Für Manfred Reißaus ist es immer noch unbegreifl­ich, was am 24. Juli vor sieben Jahren passiert ist. Seine Tochter Svenja, die Jura studiert hat, wollte damals eigentlich gar nicht zur Loveparade nach Duisburg fahren, sich stattdesse­n auf eine Klausur vorbereite­n. Nur ihrem ExFreund zuliebe ging sie doch mit und kam ums Leben. Mit seiner Frau fährt Reißaus sehr häufig an den Ort, an dem seine Tochter starb. Der Zugang zum damaligen Loveparade-Gelände inmitten eines Tunnels, wo Svenja und die meisten der anderen Opfer ihre tödlichen Verletzung­en erlitten, ist heute eine Gedenkstät­te. Blumen, Kerzen und Bilder der Opfer sind dort aufgestell­t. „Man kann es nicht in Worte fassen, wie furchtbar es ist, sein Kind auf so eine schrecklic­he Weise zu verlieren“, sagt er.

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FOTO: DPA Bei der Massenpani­k auf der Loveparade am 24. Juli 2010 in Duisburg starben 21 Menschen, mehr als 600 wurden teils schwer verletzt.

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