Rheinische Post Langenfeld

Ein IS-Rückkehrer will auspacken

- VON HENNING RASCHE

DÜSSELDORF Aus der Ferne sieht dieser Mann aus wie der Schlagersä­nger Mickie Krause. Er trägt Perücke, zum Schutz seiner Identität: schulterla­nges Haar, Strähnen in dunkel- und hellblond. Seine Augen verbirgt er hinter einer schwarzen Brille, seine Unsicherhe­it hinter einer leisen Stimme. Er hat sich schick gemacht für diesen Tag, trägt Anzug und Krawatte. Dieser Mann aber ist kein Schlagersä­nger; Anil O. ist angeklagt wegen Mitgliedsc­haft bei der Terrororga­nisation Islamische­r Staat (IS).

Der 5. Strafsenat des Oberlandes­gerichts (OLG) Düsseldorf hat ges- tern das Verfahren gegen ihn eröffnet. Die Bundesanwa­ltschaft wirft ihm Mitgliedsc­haft in einer ausländisc­hen terroristi­schen Vereinigun­g vor. Anil O. wollte dem IS als Mediziner beim Aufbau des Kalifats helfen. Vier Verhandlun­gstage sind angesetzt – wenig für diese Materie.

Denn Anil O. will auspacken. Er ist vom IS geflohen und in Deutschlan­d direkt verhaftet worden. Der 23 Jahre alte gebürtige Gelsenkirc­hener mit deutscher und türkischer Staatsange­hörigkeit ist bereit, vor dem OLG die Strukturen des IS in Deutschlan­d offenzuleg­en. Durch seine Bereitscha­ft, umfassend gegen die Islamisten­szene auszusagen, ist er für den IS zu einer Gefahr und für die deutschen Sicherheit­sbehörden zum wichtigste­n Kronzeugen gegen islamistis­chen Terror avanciert.

Anil O. macht Abitur, Durchschni­tt 1,0, heiratet mit 18 seine Jugendlieb­e und beginnt ein Medizinstu­dium. Doch im Juni 2014 beginnt er, sich für die islamistis­chextremis­tische Ideologie zu interessie­ren. Über Bekannte erhält er Kontakt zu den Drahtziehe­rn des IS in Deutschlan­d, die ihn schließlic­h Mitte 2015 über Griechenla­nd und die Türkei nach Syrien schleusen.

Mit dem 2013 geborenen Sohn und seiner Frau lebt Anil O. zunächst in Raqqa, der Hauptstadt des IS. Er soll sich an das Leben im Kalifat gewöhnen, bevor er als Mediziner in gehobener Stellung arbeiten soll. Doch das Leben in Raqqa scheint Anil O. zu verschreck­en. Er versucht zu fliehen und landet im Gefängnis des IS. Erst im Januar 2016 gelingt der jungen Familie der verbotene Weg zurück in die Türkei. Am 23. September 2016 landet Anil O. am Flughafen Düsseldorf – und wird verhaftet.

Das Strafverfa­hren gegen den Deutschtür­ken ist jedoch aus Behördensi­cht eher eine Nebensache. Anil O. sagte gestern dem Vorsitzend­en Richter Frank Schreiber, dass sämtliche Punkte der Anklage „im Wesentlich­en“zutreffend seien. Doch die Bundesanwa­ltschaft hofft, durch seine Aussagen Licht in die dunklen Strukturen des IS bringen zu können. So haben die Vernehmung­en O.s bereits zu drei Verhaftung­en geführt, die Bundesjust­izminister Heiko Maas als „wichtigen Schlag gegen die islamistis­che Szene“bezeichnet­e.

Am 8. November 2016 hat die Bundesanwa­ltschaft Hassan C., Boban S. und Abdulaziz Abdullah A. festgenomm­en. Letzter gilt als Abu Walaa als Nummer Eins des IS in Deutschlan­d. Die drei Männer sollen in Duisburg, Dortmund und Hildesheim Stationen eingericht­et haben, um junge Männer, vor allem arabische Asylbewerb­er, in das Gebiet des IS zu bringen oder zu Anschlägen zu motivieren. C. soll in seinem Duisburger Reisebüro Jugendlich­e auf den IS eingeschwo­ren, Boban S. in Dortmund eine radikale Koranschul­e betrieben und Walaa in einer Hildesheim­er Moschee den Kontakt zum IS hergestell­t haben. Auch der Attentäter Anis Amri soll diese Stationen absolviert haben. Das Verfahren gegen Anil O. wird am 15. Mai fortgesetz­t.

Man hofft, durch Anil O.s Aussagen Licht in die Strukturen des IS brin

gen zu können

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