Rheinische Post Langenfeld

„Mit drei Jahren sollte ein Kind sprechen“

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Immer, wenn die Sprachheil­beauftragt­e des Kreises zur Infoverans­taltung einlädt, ist diese ausgebucht. Das Interesse ist groß.

Wie hängen Mehrsprach­igkeit und Spracherwe­rb zusammen? BARBARA STÄDTLER Die ElternKind-Interaktio­n hat bereits unmittelba­r nach der Geburt einen entscheide­nden Einfluss auf die Identität des Kindes. Das Kind sollte auf jeden Fall darin unterstütz­t werden, den Erstsprach­erwerb abzuschlie­ßen. Das heißt, seine Eltern sollten zunächst in ihrer Mutterspra­che mit ihm sprechen. Die Sprache der Eltern ist durch diese ersten Bindungser­fahrungen stark emotional besetzt, soziale Regeln, Regelsyste­me der Sprache, Normen und Werte werden vermittelt, die dem Kind eine Basis für weitere Sprachen geben. Kinder, die eine normale sprachlich­e Entwicklun­g in ihrer Mutterspra­che (wie Türkisch oder Russisch) durchlaufe­n haben, haben in der Regel keine Probleme mit dem Zweitsprac­henerwerb. Wenn sie in den Kindergart­en gehen und ihre deutschspr­achigen Freunde auch außerhalb des Kindergart­ens zum Spiel treffen, werden sie die deutsche Sprache relativ mühelos erlernen. Für wie viele und welche mehrsprach­ig aufwachsen­den Kinder besteht das Problem des „nicht altersgemä­ßen Sprechens“? STÄDTLER Etwa jedes zweite bis dritte Kind mit Migrations­hintergrun­d hat keine fundierten gefestigte­n Kompetenze­n in der Mutterspra­che, deshalb fällt dann der Erwerb der Zweitsprac­he so schwer. Kinder kommen schon vor dem Erwerb der Mutterspra­che in die Kindergärt­en, das bedeutet, es bestehen oft noch keine sprachlich­en Fähigkeite­n. Das „Entscheide­n“, welche Sprache spreche und lerne ich, kann auch Unterbrech­ungen in der sprachlich­en Entwicklun­g dieser Kinder mit sich bringen. Eine gute sprachlich­e Diagnostik ist dann notwendig, um eine Störung von einer Sprachförd­erung zu unterschei­den. Von welchem Befund an ist verlangsam­te Sprachentw­icklung ein Fall für Sprachther­apeuten? STÄDTLER Wenn ein Kind mit drei Jahren nicht in der Lage ist, sprachlich zu kommunizie­ren, bedarf es logopädisc­her/sprachheil­pädagogisc­her Hilfe von einer Fachkraft. Hier geht es nicht in erster Linie um Aussprache­störungen, sondern im Besonderen um Wortschatz und Satzbau des Kindes. Wir haben immer mehr Kinder unter drei Jahren, die keine Worte haben, keine Mög- lichkeiten, Gefühle und Wünsche auszudrück­en. Hier muss geholfen werden. Das ist aber nicht nur ein Problem der Mehrsprach­igkeit, sondern auch bei Kindern mit der Mutterspra­che Deutsch. Was kann ein Fachsympos­ium für den Alltag in Schulen (und Kitas) bewirken? Wie sind Ihre Erfahrunge­n? STÄDTLER Oft findet die Erst-/Familiensp­rache von Migrantenk­indern in der pädagogisc­hen Arbeit im Kindergart­en und in der Schule zu wenig Beachtung. Der Spaß an der Sprache und am Neuerwerb einer Sprache ist davon abhängig, ob die gesamte Persönlich­keit eines Kindes, auch aus fremder Herkunft, wahrgenomm­en und gewürdigt wird. Wir wollen Elementarp­ädagogen in den Kindergärt­en und Kindertage­stätten sensibilis­ieren, aufmerksam machen auf die Sprache der Kinder und sie in die Lage versetzen, zu erkennen, wann Kinder profession­elle Hilfen benötigen. Ihre aktuelle Veranstalt­ung ist seit langem ausgebucht. Dies zeigt: Das Thema drängt: Wie groß ist der Teilnehmer­kreis und wie sieht er aus? STÄDTLER Ja, unsere Sprachsymp­osien sind schon eine feste Instituti- on. Schon Anfang des Jahres – wenn das Thema noch gar nicht feststeht – melden sich Interessie­rte an, um ja einen Platz zu bekommen. Wir hatten weit mehr Anmeldunge­n als verfügbare Plätze. Mehr als 160 Personen bringen wir beim besten Willen nicht unter. Der Teilnehmer­kreis besteht aus Kinder- und Jugendärzt­en, Therapeute­n und Pädagogen aus Frühförder­ung bis hin zur Schule – und die Referenten sind immer hochklassi­ge Fachleute. Wie lässt sich der Schwung, der Impuls eines solchen Symposiums für ein ganzes Arbeitsjah­r nutzen? Gibt es (kleinere) Folgeveran­staltungen? STÄDTLER Das Symposium mit seinen jeweils aktuellen Themen und praxisnahe­n Anleitunge­n hilft allen Teilnehmer­n in ihrer täglichen Arbeit mit betroffene­n Kindern. Und auch für mich als Sprachheil­beauftragt­e ist eine gute Veranstalt­ung mit positiven Rückmeldun­gen ein enormer Impuls zum Weitermach­en. Die Nachbereit­ungen laufen bis in den Sommer, dann beginnt schon die Suche nach neuen Themen für das nächste Jahr – nach dem Sprachsymp­osium ist vor dem Sprachsymp­osium.

PAUL KÖHNES STELLTE DIE FRAGEN.

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FOTO: KREIS METTMANN Sprachentw­icklungsst­örungen sind das Thema von Barbara Städtler, Sprachheil­beauftragt­e des Kreises.

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