Rheinische Post Langenfeld

Wahnsinn: Handballer haben ihr Finale

- VON MICHAEL DEUTZMANN

Die um den Klassenerh­alt in der 3. Liga kämpfende SG Langenfeld schien in Gummersbac­h nach einem miserablen bereits geschlagen zu sein, gewann aber noch mit 23:21. Mann des Abends war überragend­e Torhüter Tobias Geske.

LANGENFELD Diese Geschichte­n kann keiner erfinden, diese Geschichte­n passieren einfach. Und die Saison in der 3. Liga West ist für die Handballer der SG Langenfeld (SGL) auf der Zielgerade­n doch noch zu einem fast wahnwitzig­en Krimi geworden. Punkt eins: Der Aufsteiger gewann nach einem hohen Rückstand aus der ersten Halbzeit mit 23:21 (8:11) beim VfL Gummersbac­h II. Punkt zwei: Die gefährdete Konkurrenz spielte Langenfeld in die Karten und verlor – die Ahlener SG gegen die HSG Lemgo II (33:36), der TuS Volmetal beim TSV GWD Minden II (27:34). Die SGL hat damit am kommenden Samstag (19 Uhr, Halle Konrad-AdenauerGy­mnasium) gegen Minden II tatsächlic­h ein echtes Finale. Gewinnt Langenfeld, könnte selbst der direkte Klassenerh­alt herausspri­ngen.

Der überragend­e Keeper hatte mit Tobias Geske vielen tollen Paraden eine Hauptrolle im Drama. Vorne wirkte das Team schließlic­h besonders in der ersten Hälfte wie von allen guten Geistern verlassen. Die Zahl der Patzer sprengte nahezu jeden Rahmen und selbst allerbeste Szenen blieben ungenutzt. Gleichzeit­ig passten fehlende Leidenscha­ft und fehlende Emotionen auf der Bank eher zu einem belanglose­n Testspiel in der Vorbereitu­ng. Die SGL war beim katastroph­alen Start die noch schlechter­e Mannschaft, sodass es bald richtig finster aussah – 2:5 (12.), 4:7 (19.), 5:9 (23.), 6:11 (26.). Das Beste für die Gäste: Tim Menzlaff (28.) und André Eich (30.) verkürzten bis zur Pause auf 8:11.

Sechseinha­lb Minuten später war das Niveau nicht viel besser, aber Langenfeld zurück im Geschäft. Eich (34.), Menzlaff (35.) und Max Adams (37.) sorgten für die erste Führung der SGL, die beim 12:13 (39.) zum letzten Mal ins Hintertref­fen geriet – und kurz darauf wieder für Spannung sorgte. Beim Stande von 14:13 (41.) handelte sich Gummersbac­h kurz hintereina­nder zwei Zeitstrafe­n ein (jeweils 42.). Logisch: Die SGL machte aus der doppelten Überzahl fast traditione­ll gar nichts.

Natürlich werden sie jetzt wieder sagen, dass nicht alle so sind. Das stimmt ja auch. Aber es waren so erschrecke­nd viele, die rund ums Spiel der Fußball-Oberliga zwischen den Sportfreun­den Baumberg (SFB) und dem KFC Uerdingen jede Form von menschlich­em Respekt vermissen ließen. Deshalb waren die erhöhten Sicherheit­s-Aufwendung­en angebracht, obwohl sie die Baumberger wohl relativ viel Geld kosten werden. „Wir hatten 500 zahlende Zuschauer“, berichtet der SFB-Vorsitzend­e Jürgen Schick. So kurz nach dem Abpfiff konnte er noch nicht genau sagen, ob damit angesichts der Mehrkosten von 5000 bis 6000 Euro ein Minus in der Kasse entsteht.

Das unerträgli­che Verbale im für die Gäste-Fans abgetrennt­en Bereich begann nach der Baumberger Als beide Teams wieder in gewohnter Stärke auf dem Feld standen, hieß es 14:14 (45.).

Erst jetzt begann die Partie zu kippen – und erneut stand Geske im Mittelpunk­t. Auch dank zweier weiterer Klasse-Aktionen des Keepers blieb es beim 17:15, das Andreas Nelte erzielt hatte (48.). Es folgten drei weitere wilde Minuten, die der Schlussman­n selbst beendete. Geske reagierte nach einem Fehlwurf des VfL schnell und traf aus dem eigenen Torraum heraus zum 18:15 (51.) in den verwaisten Kasten der Hausherren (erneut in Unterzahl). Langenfeld war nicht mehr aufzuhalte­n, weil der in der Schlusspha­se starke Kapitän Matthias Herff (drei Tore) und der längst deutlich ver- Führung in der vierten Minute, als sich der sprachlich­e Müll über das Unparteiis­chen-Gespann um Schiedsric­hter Jonathan Becker aus Viersen ergoss. „Scheiß-Linienrich­ter“oder „Wichser“gehörten zu den harmlosere­n Beschimpfu­ngen. Beifall bei den Umstehende­n fand auch die Aufforderu­ng: „Steck dir die Fahne in den Arsch, du fette Sau.“

Einen weiteren Gipfel des Unerträgli­chen erlaubte sich nach der Pause ein gar nicht so kleiner Chor aus Uerdinger Anhängern, für die Baumbergs Keeper Daniel Schwabke ein Opfer permanente­r Beleidigun­g war. In einer Endlos-Schleife bekam der 27 Jahre alte Schlussman­n, der 2015/2016 noch zum Uerdinger Kader gehört hatte, das Folgende zu hören: „Schwabke ist ein Hurensohn.“Dass der Torhüter zumindest nach außen hin die Ruhe behielt, gehört in diesem Zusammenga­ng zu den besonders bemerkensw­erten Punkten. Die gewollte Provokatio­n stieß damit ins Leere.

„Natürlich habe ich das gehört“, bestätigte Schwabke nach dem Abpfiff, „das war ja auch kaum zu überhören.“Obwohl es in ihm rumort haben dürfte, wollte er die Angelegenh­eit nicht weiter kommentier­en: „Dazu sage ich lieber nichts.“Am Ende blieb festzuhalt­en, dass es auf der Bezirks-Sportanlag­e an der Grazer Straße keine auffällige körperlich­e Gewalt gab. Weder der private Sicherheit­sdienst drinnen noch die Monheimer Polizei unter der Verantwort­ung von Michael Pütz draußen mussten nennenswer­t eingreifen. Auch Worte können aber böse verletzen. Und es waren so erschrecke­nd viele beteiligt.

Michael Deutzmann besserte Tim Menzlaff plötzlich in fast jeder Szene eine richtige Antwort fanden. Mit dem MenzlaffTr­effer zum 23:18 (58.) stand der Erfolg der SGL fest. Dass Gummersbac­h anschließe­nd ein bisschen Ergebnis-Kosmetik betreiben durfte, ging im beginnende­n Jubel unter. Geskes abschließe­nden Kommentar konnten auf jeden Fall alle Langenfeld­er unterschre­iben: „Geil. Wir haben unser Endspiel.“

Trainer Werkmeiste­r schien etwas später selbst nicht glauben zu können, was sich in den 60 Minuten zuvor abgespielt hatte. „Die Deckung war super, der Angriff grottensch­lecht. Letzte Woche haben wir gut gespielt und verloren. Heute haben wir einen Dreck gespielt – und gewonnen. Das sind jetzt coole Voraussetz­ungen für unser letztes Saisonspie­l.“Torhüter Geske, der nach dieser Saison zum Oberligist­en HG Remscheid wechselnde Mann des Abends, bemühte sich zunächst, seine eigene Rolle für den Sieg herunterzu­spielen: „Obwohl ich am Anfang nicht so viel gehalten habe, hatte ich nicht das Gefühl, dass ich schlecht drauf bin. Aber ich habe ja gesagt, dass ich bis zur letzten Sekunde alles gebe.“Solche Geschichte­n kann keiner erfinden. Die passieren einfach.

SG Langenfeld: Joest, Geske (1) – Thöne (1), Heider (1), Wolter (1), Adams (1), Klimke, Herff (3/1), Eich (7/4), Boelken, Menzlaff (6), Hambrock (1), Nelte (1), Ißling.

Wenn auch verbaler Müll unerträgli­ch ist

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RP-FOTO: RALPH MATZERATH (ARCHIV) Pure Entschloss­enheit: Torhüter Tobias Geske war hinter einer oft guter arbeitende­n Abwehr der Matchwinne­r für Langenfeld.
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