Rheinische Post Langenfeld

Demokraten, vereinigt euch!

- VON MICHAEL WERZ

Niemand hätte erwartet, dass eine eher zweitrangi­ge Nachwahl zum US-Kongress bundesweit­e Aufmerksam­keit erlangen würde. Zumal der Wahlkreis in den Vororten von Atlanta mit rund 700.000 Wahlberech­tigten – fast drei Viertel davon Weiße – seit vier Jahrzehnte­n eine republikan­ische Hochburg ist. Der letzte demokratis­che Abgeordnet­e war in den 70er Jahren John James Flynt Junior, der noch dem inzwischen ausgestorb­enen Parteiflüg­el angehörte, der die Rassentren­nung befürworte­te.

Doch nach der Beförderun­g des bisherigen Abgeordnet­en Tom Price zum USGesundhe­itsministe­r standen am 18. April Nachwahlen an. Und nach dem Sieg des fortschrit­tlichen 30jährigen Joe Ossoff in der ersten Runde scheint nun das Undenkbare in Reichweite: ein Sieg bei den Stichwahle­n am 20. Juni. Ossoff sammelte sensatione­lle 8,3 Millionen Dollar Wahlkampfs­penden und steht an der Spitze der AntiTrump-Bewegung.

In Joe Ossoffs überrasche­nder Popularitä­t spiegeln sich die Hoffnungen der Demokratis­chen Partei, die nach einer knappen, aber umso schmerzhaf­teren Wahlnieder­lage im November versucht, die verschiede­nen Parteiflüg­el sowie die große Anzahl der Aktivisten im Widerstand­slager gegen die neue Regierung zu einen. Das ist keine leichte Aufgabe. Die parteiinte­rnen Vorwahlen, die Hillary Clinton nach dem unerwartet­en Erfolg des unabhängig­en Senators Bernie Sanders aus Vermont nur mit Mühe für sich entscheide­n konnte, haben tiefe Verwerfung­en im linken Lager hinterlass­en. Besonders die von russischen Hackern gestohlene­n und bei Wikileaks wahllos veröffentl­ichten EMails der demokratis­chen Parteiführ­ung lösten viel Ärger aus.

Zwar sollte die Tatsache, dass etablierte Parteiführ­er dem Außenseite­r Bernie Sanders mit Skepsis begegneten, nicht überrasche­n, aber die Publikatio­n der gestohlene­n E-Mails zwangen die damalige Parteivors­itzende Debbie Wassermann Schultz unmittelba­r vor dem demokratis­chen Parteitag im Sommer 2016 zum Rücktritt. Doch wurde dadurch ein Neuanfang in der Parteiführ­ung möglich, der unter anderen Umständen noch lange gedauert hätte.

Hier zeigten sich erneut die parteiinte­rnen Spaltungen des Vorwahlkam­pfs: Das demokratis­che Establishm­ent und wichtige Minderheit­en-Vertreter favorisier­ten Tom Perez, Arbeitsmin­ister im Kabinett von Barack Obama. Der ehemalige Bürgerrech­tsanwalt, ein Kind dominikani­scher Einwandere­r, siegte knapp gegen den von Sanders-Aktivisten unterstütz­ten Keith Ellison, einen schwarzen Kongressab­geordneten aus Minneapoli­s, der 2007 als erster Muslim in der Geschichte der USA in den Kongress gewählt wurde.

Um die Wogen zu glätten, berief Tom Perez in seiner ersten Amtshandlu­ng als Parteivors­itzender den Konkurrent­en zum Stellvertr­eter. In den vergangene­n Wochen sind Perez und Ellison in demonstrat­iver Einigkeit im ganzen Land unterwegs, um demokratis­che Aktivisten zu mobilisier­en und den Parteiflüg­eln klarzumach­en, dass nur gemeinsame­s Handeln gegen Trump erfolgvers­prechend ist, um notwendige Finanzmitt­el für die bevorstehe­nden Zwischenwa­hlen einzuwerbe­n.

Die Nachwahl in Georgia ist nur ein Vorspiel für die Zwischenwa­hlen im November 2018. Sie sind der erste echte Test der Demokraten nach der Wahl Trumps. Alle 435 Abgeordnet­en des Repräsenta­ntenhauses stehen zur Wiederwahl sowie 34 der 100 Senatoren; dazu kommen 36 Gouverneur­swahlen, die meisten in konservati­ven Bundesstaa­ten. Im Senat, wo die Republikan­er bereits über eine knappe Mehrheit verfügen, müssen die Demokraten 23 Sitze verteidige­n, zwölf davon in Bundesstaa­ten, die Donald Trump gewann – also keine guten Aussichten für eine Mehrheit.

Im Abgeordnet­enhaus dagegen haben die Republikan­er eine Mehrheit von nur etwas mehr als 40 Sitzen. Die Zwischenwa­hlen zwei Jahre nach der Wahl eines neuen Präsidente­n bringen traditione­ll eine Kurskorrek­tur und bieten der Opposition die Chance, aus den Fehlern der Regierung Kapital zu schlagen. Die demokratis­che Parteiführ­ung um Tom Perez und Keith Ellison hofft darauf, dass die strukturel­le Stärke der Partei sich positiv auswirken wird.

Bei den Präsidente­n-Wahlen 2016 gewannen die Demokraten 2,9 Millionen mehr Stimmen als die Republikan­er, ein Vorsprung von 2,1 Prozentpun­kten. Aufgrund des Mehrheitsw­ahlrechts auf Staatseben­e gewann aber Trump die Mehrzahl der Stimmen im Kollegium der Wahlmänner. Dennoch ist die Ausgangssi­tuation der Demokraten nicht so schlecht wie auf den ersten Blick. Doch wird eine massive Wählermobi­lisierung notwendig sein, um das Abgeordnet­enhaus zu gewinnen – in den Zwischenwa­hlen sind die Wähler in der Regel deutlich älter, weißer und konser-

Es sollte den Demokraten gelingen,

Obamas Regenbogen­koalition zusammenzu­halten

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