„Das Erbe des Holocaust ist deutsche Leitkultur“
Der Innenminister hat eine Debatte angestoßen, was Deutschland ausmacht. Für den Soziologen Koopmans gehört dazu auch die NS-Zeit.
BERLIN (RP) Der Streit um den Begriff Leitkultur und die von Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) veröffentlichten Thesen geht weiter. Der niederländische Soziologe und Integrationsforscher Ruud Koopmans bezeichnete die Debatte in der „Welt“als notwendig: Jedes Land der Erde brauche eine Leitkultur, „und die stabilen Staaten haben auch alle eine nationale Kultur“. Leider beanspruchten die Gegner die moralische Deutungshoheit und könnten Befürworter erfolgreich
Die Gegenwart verlangt, wendig, schnell, auf dem Sprung zu sein. Überall sind ja die Gewissheiten weggebröckelt. Arbeit, Familie, Freundschaft – nichts scheint mehr selbstverständlich auf Dauer gestellt. Überall muss der Mensch sich anpassen, muss schnell reagieren, wenn sich die Bedingungen komplett verändern, darf seine Chancen nicht verpassen. Es sind die großen politischökonomischen Zusammenhänge, die sich im Alltag so niederschlagen, die dem Einzelnen das Gefühl geben, nicht mehr sicher an Land zu stehen, sondern in einen Fluss geworfen zu sein. Manchmal trägt dieser Fluss, manchmal reißt er alles mit sich fort. Vor allem aber ist er immer in Bewegung.
Das Gebot ständiger Anpassung und höchster Beweglichkeit prägt das Leben bis hinein in die Banalitäten des Alltags. Man muss den Leuten nur mal auf die Füße schauen: „entweder als rechts abwerten oder lächerlich machen“.
Um das aufzubrechen, sei de Maizières Vorstoß begrüßenswert. Etwas „ganz spezifisch Deutsches“ist aus seiner Sicht der Umgang mit der Vergangenheit: „Das historische Erbe des Zweiten Weltkrieges und des Holocaust, das ist deutsche Leitkultur.“Man könne „nicht deutsch sein, ohne sich für den Holocaust zu schämen“. Es gebe Einwanderer, die als Deutsche behandelt werden wollten, aber mit dem Holocaust nichts zu tun haben wollten, weil ja nicht ihre Vorfahren Täter gewesen seien. Das sei eine falsche Haltung: „Wenn sie sich antisemitisch äußern oder Israel das Existenzrecht absprechen, können sie nicht gleichzeitig beanspruchen, als Deutsche behandelt zu werden.“
De Maizière hatte einen ZehnPunkte-Katalog zur deutschen Leitkultur veröffentlicht. Darin schreibt er: „Über Sprache, Verfassung und Achtung der Grundrechte hinaus gibt es etwas, was uns im Innersten Kaum jemand trägt noch Lederschuhe. Als seien die zu schwer, zu stabil, zu unnachgiebig für die neue Zeit. Alle sind auf Turnschuhen unterwegs, in diesen leichtgewichtigen Tretern mit den federnden Sohlen und immer neuen Materialien, die noch hipper, noch zukunftsgewisser wirken sollen.
Turnschuhe stillen ja gleich zwei Bedürfnisse: sich sportlich zu geben, fit und flexibel. Und durch die Wahl der Marke noch etwas über sich auszusagen, die eigene Identität abzustecken, das KonsumentenIch zu definieren. Manche Leute sind eben vorn dabei, wissen, welcher Rapper oder Basketballer in den USA gerade welches Modell propagiert. Das ist dann nach künstlicher Verknappung kaum zu ergattern. Die Kenner müssen sich im Internet auf die Lauer legen, vor exklusiven Schuhgeschäften Schlange stehen, an Verlosungen teilnehmen, in Versteigerungen Nerven bewah- zusammenhält und was uns von anderen unterscheidet.“Der Minister hob unter anderem soziale Gewohnheiten sowie die Bedeutung von Bildung, Kultur und Religion hervor. Das löste breite Kritik aus.
Der CDU-Wirtschaftsrat nannte die neue Debatte dagegen wichtig und für die Integrationspolitik zukunftsweisend. „Ein Einwanderungsland muss klare Bedingungen nennen. Das tun alle klassischen Einwanderungsländer“, sagte Generalsekretär Wolfgang Steiger der ren. Es ist schon irre, wie eine Branche Leute dazu bringt, einen beachtlichen Teil ihrer Zeit und Energie darauf zu verwenden, Käufer zu werden. Und dann noch Preise zu zahlen, die mit Gegenwert nicht mehr viel zu tun haben.
Lederschuhe dagegen erzeugen keine Zugehörigkeit. Sie verkörpern keine Geschichte, kein Lebensgefühl. Sie sind solide. Selbst wenn sie elegant geschnitten, hochwertig verarbeitet sind, strahlen sie diese Verlässlichkeit aus. Und die passt nicht mehr in eine Welt, die auf Warenumsatz, auf schnellen Austausch der Produkte, auf Wandel setzt. Darum breitet der Turnschuh sich aus auf den Straßen, Schulhöfen, in den Betrieben und verdrängt seinen ledernen Vorgänger. Generation Leichtfuß – wahrscheinlich ist es mehr als eine Mode. Ihre Meinung? Schreiben Sie unserer Autorin: kolumne@rheinische-post.de „Neuen Osnabrücker Zeitung“. Neubürgern müssten Maßstäbe und Werte vermittelt werden. Unterstützung erhielt de Maizière auch von CDU-Präsidiumsmitglied Jens Spahn. Er sagte dem Deutschlandfunk, es gehe nicht um ein Gesetz, sondern um eine Debatte, „was unsere Kultur prägt, was unser Zusammenleben ausmacht“. Diese Debatte sei ein Wert an sich, und es könne dadurch ein Konsens entstehen. Die Kritik des früheren CDU-Generalsekretärs Ruprecht Polenz an de Mai- zière bezeichnete Spahn als Einzelstimme in der CDU.
Der Essener Bischof Franz-Josef Overbeck begrüßte die Debatte im Gespräch mit der Katholischen Nachrichten-Agentur zwar grundsätzlich. Sie dürfe aber nicht auf „Stammtischniveau“und nicht nur im Vorfeld von Wahlen geführt werden. Mit Schlagworten wie „Wir sind nicht Burka“etwa habe er Probleme, weil sie „nicht der Differenziertheit der Bedeutung der Religion für Menschen“gerecht würden.
Warum Lederschuhe verschwinden Manchmal schlagen sich gesellschaftliche Veränderungen in profanen Alltagsdingen nieder: etwa in der Schuhwahl.