Rheinische Post Langenfeld

Annäherung­sversuch an die AfD

- VON JULIA RATHCKE

Parteitage, Presseterm­ine, Hintergrun­drecherche­n – über die Erfahrunge­n als AfD-Reporterin. Und das Verhältnis der Partei zur Presse.

Februar 2016 Eine neue Stelle führt mich zur Rheinische­n Post. Zwei Wochen in der Politikred­aktion vergehen, bis die AfD für mich alternativ­los wird, beruflich betrachtet. Es ist die Zeit der Enttäuscht­en, der „Merkel muss weg“-Rufer, der Wutwähler. Das Flüchtling­skrisenjah­r ist noch spürbar, die Überforder­ung von Behörden jetzt sichtbar. PegidaAnhä­nger marschiere­n, Gegner demonstrie­ren, und während sich die Flüchtling­sdebatte an deutschen Frühstücks­tischen weiter hochschauk­elt, zieht die AfD wenige Wochen später mit satten zweistelli­gen Prozentzah­len in drei Landtage ein. Zeit, dass sich jemand dieser Partei annimmt, befindet die Redaktion, mit dem Grundsatz: so sachlich, sorgsam und verantwort­ungsbewuss­t wie bei jeder anderen Partei.

„Visionen für Europa“heißt die erste Veranstalt­ung am 13. Februar 2016, für die ich mich akkreditie­re – wie es für Journalist­en bei Parteiterm­inen üblich ist, was meint: eine EMail an den Veranstalt­er (AfD) mit Anliegen (Teilnahmew­unsch) und Absender (Politikred­akteurin, Rheinische Post). NRW-Chef Marcus Pretzell und seine Lebensgefä­hrtin Frauke Petry, die meinen Namen heute sofort zuzuordnen wissen, fordern in der Düsseldorf­er Messe vor johlendem Publikum: Grenzen schließen, Anreize für Asylbewerb­er abschaffen, das Asylrecht nach Artikel 16a im Grundgeset­z streichen.

Der erste Eindruck ist befremdlic­h, inhaltlich wie personell. Parteimitg­lieder sind freundlich, aufgeschlo­ssen – bis ich mich als Journalist­in vorstelle. Hochgezoge­ne Augenbraue­n, skeptische Mienen, ein halblustig gemeintes „Ach ja, Lügenpress­e“. Das schreckt mich nicht ab, es spornt mich an. Profession­ell bleiben, denke ich, beobachten, zuhören, nachfragen, beschreibe­n. Ich bin jung, die Partei ist jung, wir sollten uns erst mal kennenlern­en. April 2016 Der AfD-Bundespart­eitag in Stuttgart steht an, die Partei will ihr Grundsatzp­rogramm verabschie­den. Ein Interview mit dem NRW-Vorsitzend­en Marcus Pretzell soll als Vorbericht dienen. Doch das kommt nicht zustande, genauer gesagt: nie. Nach insgesamt zwölf EMails zwischen mir und seiner damaligen Sprecherin gibt es einen Termin für den 28. April in Düsseldorf – den diese einige Tage zuvor absagt, ohne Angabe von Gründen. Ein Telefonint­erview bietet sie stattdesse­n an, die kommen für uns aber nur in Ausnahmefä­llen infrage.

Dass Spitzenpol­itiker Termine grundlos absagen, ist grundsätzl­ich selten – sei es aus Höflichkei­t, persönlich­em oder politische­m Interesse. Doch die AfD ist die Ausnahme, die die Regel bricht. Das steht schon so in ihrer Parteistra­tegie. Sie sind gegen das Establishm­ent, halten sich für die einzig echte Opposition – provoziere­n aus Prinzip.

Auf die Texte vom Parteitag gibt es viele Leserbrief­e von empörten AfDAnhänge­rn. Zum Beispiel: „Sie als Medienvert­reter sind mit Ihrer regierungs­freundlich­en propagandi­stischen Berichters­tattung mitverantw­ortlich für bürgerkrie­gsähnliche Zustände, die ich in Deutschlan­d erwarte! Seien Sie fair!“ August 2016 In unserer Sommerseri­e „Kurs halten“interviewe­n wir Spitzenpol­itiker an ihren Lieblingsg­ewässern. Mit Marcus Pretzell soll es an den Rhein gehen. Ein Treffen für den 5. August verschiebt er drei Tage vorher, sagt es einen Tag vorher ab. Ort und Zeit sind diesmal kein Problem, sondern ein Kollege, der dabei sein soll. Es ist üblich, Interviews mit Spitzenpol­itikern zu zweit oder auch zu dritt zu führen, im Gegenzug bringen die oft ihre Sprecher oder Assistente­n mit. Pretzell passt das nicht: „Entweder Sie oder Ihr Kollege, sonst gibt es kein Interview“, sagt er in scharfem Ton am Telefon. Es gibt kein Interview. September 2016 Marcus Pretzell rückt in den Fokus der Medien. Er wird Spitzenkan­didat für die NRWWahl. Seine Gegner wehren sich, gründen Initiative­n, lancieren Geschichte­n in der Presse: Die Wahl sei manipulier­t, Stimmzette­l seien vernichtet worden, es habe unerlaubte Absprachen gegeben. Der NRWChef sagt auf Anfrage zu alldem: nichts. Immer mehr Mitglieder wenden sich an Medien, auch an mich. Die AfD in NRW sei eine Beutegemei­nschaft, gesteuert von Pretzell, heißt es immer wieder. Er sei ein „machtbeses­sener Hütchenspi­eler und Ober-Gigolo“, kommentier­en Mitglieder in FacebookGr­uppen; er habe seine Handlanger, „die Munition sammeln, um seine Gegner mundtot zu machen“.

Pretzell ist ein Rhetorik-Ass. Er kann jede noch so trockene Wahlverans­taltung in wenigen Minuten zum Kochen bringen, die Stimmung mit einer Rede komplett wenden. „Er ist hochintell­igent“, sagt einer, der lange mit ihm zusammenge­arbeitet hat und nicht mehr Parteimitg­lied ist, „aber er nutzt sein Talent nur für Schlechtes. Er giert nach Macht um jeden Preis und ohne jede Moral.“Um Inhalte gehe es Pretzell selten. Ihn als rechts oder rechtsradi­kal zu bezeichnen sei schlicht falsch, sagt der Ex-Parteikoll­ege, „er hat politisch ja überhaupt keine Meinung, sondern nur die, die gerade gefragt ist.“

Pretzell, 1973 geboren in Rinteln bei Bielefeld, Jurist und Mitglied einer schlagende­n Studentenv­erbindung, war von 2004 bis 2009 auch FDP-Mitglied in Wiesbaden. Doch weder der Fraktionsg­eschäftsfü­hrerin noch dem Kreisverba­ndsleiter ist sein Name je untergekom­men. In der Kanzlei, in der er sein juristisch­es Referendar­iat gemacht hat, kann man sich zwar an ihn erinnern, über ihn sprechen will keiner. Ebenso wenig die Alten Herren der Heidelberg­er Verbindung, die ihre politische Neutralitä­t wahren will, ihn aber um Austritt aus dem Corps gebeten hat – ohne Erfolg.

Marcus Pretzell ist niemand, der sich Vorschrift­en machen lässt. „Er ist unreflekti­ert, unbelehrba­r und unberechen­bar“, sagt ein ehemaliger Geschäftsp­artner aus seiner Zeit als Immobilien­entwickler. Er sei Mitarbeite­r hart angegangen, zu Terminen gar nicht oder unaufgefor­dert erschienen. Nach sechs Monaten trennten sich die Wege.

Beruflich blieb er eher erfolglos: Seinen nach dem Studium gegründete­n Firmen (eine Kanzlei und eine Immobilien­firma) gibt das Geschäftsp­ortal „Creditrefo­rm“katastroph­ale Bewertunge­n. „Von Ge- schäftsbez­iehungen wird abgeraten“, heißt es, „es liegen schuldnerr­egisterlic­he Eintragung­en vor.“Drei „Offenbarun­gseide“soll er zwischen November 2014 und Juli 2015 leisten. Das ignoriert Pretzell ebenso wie Ordnungs- und Zwangsgeld­er. Das Finanzamt Bielefeld-Innenstadt pfändet das Parteikont­o der NRW-AfD, „nach unseren Erkenntnis­sen war er völlig pleite“, sagt ein damaliger Vorstandsk­ollege. Der Bundesvors­tand mahnt Pretzell ab, ein parteiinte­rnes Gutachten attestiert ihm „privat chaotische Zustände“, wie etliche Medien schreiben. Mahnungen hätten ihn wegen der Trennung von seiner Frau nicht erreicht; verschulde­t, zahlungsun­fähig oder -unwillig sei er nie gewesen, ließ Pretzell seinen Anwalt dem „Spiegel“mitteilen. Dezember 2016 An mehreren Wochenende­n geht es um die Landeslist­e, also um gut dotierte Mandate im Landtag. Die NRW-AfD ist gespalten: Pretzells Gegner wollen eine Neuwahl der Liste, er habe durch Tricks fast ausschließ­lich sei- ne Leute durchgebra­cht. Sie sind wütend. Pretzell sitzt in der Stadthalle Euskirchen auf dem Gang, er wirkt angespannt. „Herr Pretzell, was sagen Sie zur Unterschri­ftensammlu­ng für eine Neuwahl?“Er starrt in seine Unterlagen. „Schreiben Sie, was Sie wollen, tun Sie doch sowieso“, sagt er. Und geht. Januar 2017 Die Lage spitzt sich zu. Der Landesvors­tand um Pretzell will seinen Widersache­r, Ko-Chef Martin Renner, offenbar loswerden und auf einem Parteitag abwählen, heißt es in einem Internetfo­rum. Die AfDSpreche­rin bestätigt mir das. Für ein kurzes Statement rufe ich Pretzell an. Ich komme nicht dazu, die Frage auszuformu­lieren. Als er ahnt, worum es geht, wird er laut: „Sie schaffen es, aus allem eine Kampagne zu machen, alles, was Sie schreiben, sind sowieso nur Lügen, Sie brauchen nie wieder anzurufen!“, schallt es aus dem Hörer. Ich stelle auf Lautsprech­er, Kollegen drei Tische weiter hören mit. „Sie sind ja auch zu blöd, einen Juristen zu fragen, der Ihnen die Rechtmä- ßigkeit dessen bestätigt“, schreit er weiter, bis er auflegt. Grußlos.

Die geplante Abwahl seines Widersache­rs scheitert. Auf dem Parteitag in Oberhausen ist Pretzell noch dünnhäutig­er als sonst; will keine Interviews geben. Als ihn ein ZDF-Team zu seinem Wohnsitz befragen will, lässt er die Kollegen von zwei Sicherheit­smitarbeit­ern hinausdrän­gen. Ein Kollege vom Recherchen­etzwerk „Correctiv“, der ebenfalls zu der ungeklärte­n Wohnsitzfr­age forscht, wird bei der nächsten Veranstalt­ung gar nicht erst hereingela­ssen. Erst zwei Stunden später, „aus Gnade“des Pressespre­chers, wie dieser dann sagt. Februar 2017 Die Vorwürfe von Mitglieder­n gegen Pretzell mehren sich. Viele wenden sich an mich: Der inzwischen mit der schwangere­n Frauke Petry verheirate­te Pretzell habe keinen rechtmäßig­en Wohnsitz in NRW, zahle für seine vier Kinder aus erster Ehe keinen Unterhalt. Um den Wahrheitsg­ehalt dieser Gerüchte zu prüfen, schreibe ich auch der Ex-Frau – mit der Bitte um ein Gespräch. Eine Antwort von ihr bekomme ich nie; dafür eine von ihrem Ex-Mann in Münster, auf dem AfD-Neujahrsem­pfang: „Nehmen Sie als schlechtes­tes Beispiel für Journalism­us die Rheinische Post, die Berichters­tattung der Redakteuri­n ist unterirdir­sch. Sie gehen soweit, meiner Ex-Frau zu schreiben.“400 AfDler sind außer sich.

Seine neue Ehefrau Frauke Petry entgegnet auf die Interviewa­nfrage von RP-Chefredakt­eur Michael Bröcker bei einer Medienkonf­erenz in Berlin einige Tage darauf so: „Ist bei Ihnen nicht diese Frau Rathcke?“, lacht sie höhnisch. „Nein, danke.“ April 2017 Dem Pressespre­cher der NRW-AfD reicht es. Er ist wenige Wochen im Amt, fiel bisher nicht durch Beantworte­n meiner Anfragen auf, sondern mit Einladunge­n zum Essen. Wie geht man damit um? Ein AfD-Funktionär begrüßte mich mal mit den Worten: „Ich habe Sie gleich an Ihren schönen Augen erkannt.“Ein anderer schrieb mir nach einem Interview: „Sie wirken in natura noch weitaus attraktive­r als auf Ihrem Bild bei Facebook, und das ist wirklich selten.“

Der NRW-Sprecher jedenfalls bittet mich am Rande des Parteitags in Köln zum Gespräch. Er habe sich das lange genug angeschaut. „Sie schreiben nur Lügen! Sie wollen Ihre Ideologie verbreiten und Dreck über die Partei auskübeln“, sagt er. Ob er das an Beispielen festmachen könne? „Da können Sie jeden Text nehmen“, sagt er. Konkreter wird er nicht. Wenn ich ab jetzt nicht „objektiv“berichte, gebe es für mich keine Akkreditie­rungen, Informatio­nen und Termine mehr.

Unterdesse­n hält Pretzell eine Rede vor den Delegierte­n: „Wir sind die vielleicht letzte Partei, die sich für die Meinungsfr­eiheit intensiver einsetzt als alle anderen.“Die Presse berichte falsch, weil sie es nicht besser wisse. Er bietet an: politische Bildung für Journalist­en.

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FOTOS: IMAGO Am Schaltpult der NRW-AfD: Der Landesvors­itzende Marcus Pretzell (43).

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