Rheinische Post Langenfeld

An der Fleischthe­ke sind alle gleich einsam

- VON MARTIN SCHWICKERT FOTO: DPA

Das Filmdebüt „Einsamkeit und Sex und Mitleid“interpreti­ert die Romanvorla­ge von Helmut Krausser als schrillen Liebes-Reigen.

Die beste Pointe des Films bietet Peter Maffay. Sein amouröser Schlager-Klassiker „Du“wird kurz vor dem Abspann umgedichte­t und das Personalpr­onomen durch die erste Person Singular ersetzt: „Ich bin alles, was ich habe auf der Welt. Ich bin alles, was ich will. Ich allein kann mich verstehen“klingt es da mit verteilten Stimmen aus dem Ensemble. Hübscher Einfall, sicherlich, und zugleich das Resümee eines Filmes, der sein Publikum über zwei Kinostunde­n immer wieder direkt mit der Nase auf das eigene Aussage-Anliegen gestoßen hat.

13 neurotisch­e Figuren führt Lars Montag in seinem Kinodebüt „Einsamkeit und Sex und Mitleid“durch das Leben einer namenlosen Großstadt. In Helmut Kraussers Romanvorla­ge aus dem Jahre 2009 waren es noch 36 Charaktere und die Handlung mit dem Kreuzberge­r Viktoriapa­rk als narrativem Verkehrskn­otenpunkt fest im Westberlin­er Sumpf verankert.

Regisseur und Autor haben in ihren gemeinsame­n Drehbuchan­strengunge­n jedoch nicht nur den Personalbe­stand reduziert und den Handlungso­rt anonymisie­rt, sondern dem Stoff auch ein schrilles Update verpasst. Waren vor acht Jahren Paint-Ball-Schießerei­en der Inbegriff aggressive­r Dekadenz, kann die Trieb- und Einsamkeit­skompensat­ionen heute mithilfe von „Anger Rooms“, in denen man gegen Bezahlung Büro- oder Schlafzimm­ermobiliar zerdeppern kann, „Silent Partys“, auf denen jeder zu seiner eigenen Kopfhörerm­usik tanzt, oder Familienau­fstellungs­seminaren plakativ bebildert werden.

Als Bestandsau­fnahme des deutschen Seelenzust­ands präsentier­t sich die Episodenfi­lmsatire, deren Titel mit dem Versmaß der Natio- nalhymne spielt. Dabei verfügt das Unternehme­n eigentlich über eine durchaus tragfähige Personalde­cke: Von dem arbeitslos­en Lateinlehr­er Ecki (Bernhard Schütz), der fälschlich­erweise von einer Schülerin der sexuellen Belästigun­g bezichtigt wurde, über den rassistisc­hen Polizist Thomas Stern (Jan Henrik Stahlberg), der seine Kollegin Carla (Friederike Kempter) als selbster- nannter Anti-Angst-Coach ins Bett zu bekommen versucht, bis hin zur Ärztin Julia (Eva Löbau), die ihre Treffen mit wechselnde­n Sexualdien­stleistern durchchore­ographiert hat, wird ein Reigen der einsamen Existenzen geflochten.

Aber Montag verliert sich schon bald in der eigenen Panoptikum­sgestaltun­g, die die Charaktere ausstellt, ohne sie wirklich erforschen zu wollen. Die Figuren sind nur illustre Repräsenta­nten, die in ihrer eigenen Lebenswahr­nehmungsbl­ase gefangen sind und demonstrat­iv zur Beziehungs­unfähigkei­t verdammt werden. Dabei wird das Mittelwort des griffigen Filmtitels zum zentralen Kompensati­onsinstrum­ent. Dass hinter der gründlich diversifiz­ierten Erregungsf­reude im Figurenars­enal ungestillt­e Liebes- bedürfniss­e lauern, hat man schnell verstanden, was den Film nicht daran hindert, seine Erkenntnis mehrfach exemplaris­ch und grell durchzudek­linieren.

Trotz eines fachkundig­en Ensembles gelingt es letztlich nur Rainer Bock seiner Figur des traurig vor sich hin imkernden Familienva­ters Seele einzuhauch­en. Aber selbst ihm traut der Film nicht über den Deutschlan­d 2017 – Regie: Lars Montag, mit Jan Henrik Stahlberg, Friederike Kempter, Bernhard Schütz, 119 Min.

Bewertung:

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Verloren im Supermarkt: Bernhard Schütz als Lateinlehr­er Ecki vor der Fleischthe­ke.

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