Rheinische Post Langenfeld

Kopf an Kopf in Kiel

- VON GREGOR MAYNTZ

Morgen wählt Schleswig-Holstein einen neuen Landtag, und die regierende „Küstenkoal­ition“wackelt. Kommt jetzt Jamaika?

KIEL Die politische­n Untiefen an der Kieler Förde sind für Überraschu­ngen selbst noch an Wahltagen gut: von Last-minute-Schmutzkam­pagnen, die mit den Namen Barschel und Engholm verbunden sind, bis hin zu „Heidemörde­rn“im SPD-Dickicht, denen die damalige Regierungs­chefin Heide Simonis ihren vorzeitige­n Ruhestand verdankte.

In dieser Gemengelag­e ist möglich, dass morgen bei der Landtagswa­hl ein gewisser Daniel Günther den Sprung ins Ministerpr­äsidentena­mt schafft. Oder dass Amtsinhabe­r Torsten Albig König der Küstenkoal­ition aus SPD, Grünen und Südschlesw­igschem Wählerverb­and bleibt. Denn noch ist jeder dritte Wahlberech­tigte unentschlo­ssen. In letzten Umfragen lag die CDU knapp vor der SPD; Grüne und FDP erreichten zweistelli­ge Werte, AfD und Linke lagen knapp über beziehungs­weise unter fünf Prozent. Die Plakate suggeriere­n einen Kampf zwischen Opa und Enkel. Hier der erfahrene Sozialdemo­krat mit Glatze, der drei Bundesfina­nzminister­n als Sprecher diente, dann Überraschu­ngssieger bei der Kieler Oberbür

germeister- wahl wurde und bald im Land mit der SPD eine hauchdünne Koalitions­mehrheit anführte. Dort der dynamische CDU-Nachwuchsp­olitiker mit dem Image von Schwiegerm­utters Liebling, der zielstrebi­g ein Amt nach dem anderen von straucheln­den oder frustriert­en Christdemo­kraten einsammelt­e, Fraktionsc­hef, Landespart­eichef, Spitzenkan­didat wurde.

Das Aussehen trügt, denn zwischen beiden liegen nur zehn Jahre. Albig wirkt älter, ist aber erst 53, Günther wirkt jünger, ist aber schon 43. Das jungenhaft­e Image nutzt der Christdemo­krat, um die Erwartunge­n zu dämpfen: So jung sei er, da könne er ruhig auf einen Wahlsieg noch 2022 setzen. Doch die Ämter sind ihm nicht von alleine in den Schoß gefallen. Dass er in fünf Jahren schon der vierte CDU-Chef ist, hat wohl auch mit seinem Mitwirken zu tun und sichert ihm Unterstütz­ung politisch verletzter CDUPolitik­er, solange er Erfolg hat.

Dafür hat er sich thematisch breit, mancher sagt: beliebig, aufgestell­t. Knallharte Innenpolit­ik für die ländliche Stammwähle­rschaft plus kraftvolle Infrastruk­turverspre­chen für die Liberalen unter Wolfgang Kubicki plus Lockerungs­übungen bei den Schwulenre­chten und den Kita-Ausbauten für die Wechselber­eitschaft der Grünen. Das macht unterm Strich die mögliche Ablösung der Küstenkoal­ition durch eine schwarz-gelb-grüne JamaikaMeh­rheit – auch wenn von ausgesproc­hener Wechselsti­mmung an der Förde nichts zu spüren ist.

In den Wahlkampfw­ochen und Fernsehdeb­atten vermochte Günther besser zu punkten als Albig. Der liegt zwar in der persönlich­en Beliebthei­tsbewertun­g noch sieben Punkte vor Günther. Aber bei der Parteipräf­erenz rangiert die CDU einen bis vier Prozentpun­kte vor der SPD. Albig markiert Politik „für die linke Seite der Gesellscha­ft“, steht etwa für einen totalen Afghanista­n-Abschiebes­topp, eine unter SPD-Regierungs­chefs einsame Entscheidu­ng.

Noch kämpfen SPD und Grüne für eine Wiederaufl­age der Koalition. Grünen-Anhänger sehen hinter Umweltmini­ster Robert Habeck und der Spitzenkan­didatin und Fi- 1950/51 Walter Bartram (CDU) 1951–54 Friedrich W. Lübke (CDU) 1954–63 Kai- Uwe von Hassel (CDU) 1963–71 Helmut Lemke (CDU) 1971–82 Gerhard Stoltenber­g (CDU) 1982–87 Uwe Barschel (CDU) 1988–93 Björn Engholm (SPD) 1993–2005 Heide Simonis (SPD) 2005–12 Peter H. Carstensen (CDU) Seit 2012 Torsten Albig (SPD) nanzminist­erin Monika Heinold eine blitzsaube­re Bilanz. Habeck ist auch über die Grenzen des Landes hinaus bekannt. Und wenn nun Albig erkennbar nicht mehr von einem Schulz-Effekt in die Wiederwahl getragen wird, sagen die Grünen, dass sie das dann halt mit einem Habeck-Effekt richten wollen. Im Vergleich mit ihren NRW-Kollegen markieren die Küsten-Grünen den Unterschie­d zwischen Selbstbewu­sstsein und Panik.

Einen „Plan B“will Albig erst im Falle der verpassten Mehrheit rausholen. Eigentlich ist es ein Plan „WK“. Schon seit Monaten spricht Albig betont freundlich mit NochOpposi­tionsführe­r Wolfgang Kubicki, der mit Slogans wie „Wollen reicht nicht, man muss es auch können“die Lufthoheit über den Stammtisch­en beanspruch­t. Das markige Kubicki-Auftreten und das knappe Rennen zwischen Albig und Günther halten AfD und Linke klein.

Kopfzerbre­chen bereitet den Strategen noch, wie sich die Persönlich­keitswerte auf den letzten Metern entwickeln. Unverschwu­rbelt räumte Albig das Ende seiner Ehe ein und sprach über Hochzeitsp­länen mit seiner Lebensgefä­hrtin. Günther steht für privates Glück mit Ehefrau Anke und der 18 Monate alten Tochter.

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FOTO: ACTION PRESS Daniel Günther (43, CDU)
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FOTO: DPA Torsten Albig (53, SPD)

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