Rheinische Post Langenfeld

Ligafrust trifft Europalust

- VON DORIAN AUDERSCH

Wenn sich am Samstag Bayer 04 und der 1. FC Köln begegnen, prallen zwei Gefühlswel­ten aufeinande­r, die unterschie­dlicher kaum sein könnten. Während Leverkusen die schwächste Saison seit 2003 spielt, darf Köln von der Europa League träumen.

LEVERKUSEN Es wird wohl auch etwas Trotziges haben, wenn am kommenden Samstag irgendwann zwischen 15.20 und 15.30 Uhr das Stadionlie­d durch die BayArena hallt. Mit reichlich lokalem Pathos wird ein Leverkusen besungen, das die „Macht am Rhein“sei, inklusive des optimistis­chen Zusatzes: „und das wird immer so sein.“Das ist angesichts der aktuellen Situation eine zumindest gewagte These, denn die fußballeri­schen Kräfteverh­ältnisse entlang des großen Flusses scheinen sich verschoben zu haben.

In der aktuellen Bundesliga­tabelle steht die Elf vom Niederrhei­n aus Mönchengla­dbach auf Rang neun bereits besser da als Bayer 04. Noch deutlicher ist es beim kommenden Gegner der Werkself. Der 1. FC Köln belegt Platz sieben und hat berechtigt­e Hoffnungen, in der kommenden Spielzeit das erste Mal seit Ende der 1990er Jahre wieder internatio­nal spielen zu können. Die Akteure aus Leverkusen hingegen werden die Saison 2017/2018 an Dienstag-, Mittwoch-, oder Donnerstag­abenden vor dem Fernseher verbringen müssen, wenn sie Fußball auf europäisch­er Ebene erleben wollen – eine unerwartet­e Entwicklun­g für den in den vergangene­n Jahren zum Dauerteiln­ehmer der Champions League avancierte­n Werksklub.

Dass Köln und Leverkusen eine innige Fußballriv­alität „verbindet“, ist bundesweit bekannt. Zuletzt hatte stets das Team aus dem im Vergleich eher beschaulic­hen Leverkusen die Nase vorn. Nun kann ausge- rechnet die Elf von Kölns Trainer Peter Stöger der wankenden Werkself um Tayfun Korkut ein gehöriges Beinchen auf dem Weg zum nach wie vor gefährdete­n Klassenerh­alt stellen. Eine Pleite gepaart mit aus Leverkusen­er Sicht unvorteilh­aften Ergebnisse­n der Konkurrent­en, und das Schreckges­penst Relegation spukt wieder unter dem Bayer-Kreuz. Das gilt es aus Sicht von Rudi Völler unbedingt zu vermeiden. Der Sportchef von Bayer 04 ist sich der Brisanz des anstehende­n Nachbarsch­aftsduells bewusst – und der Bedeutung der Partie für die eigene Anhängersc­haft. „Unsere Fans wurden in dieser Saison bei Heimspiele­n definitiv nicht verwöhnt“, sagte der 57-Jährige dem TV-Sender Sport1. „Die Kölner spielen eine sehr gute Saison, aber wir wollen vor unserem Publikum noch einmal alles rausholen und ein tolles Spiel abliefern.“Köln (45 Punkte) kommt nach dem 4:3-Spektakel gegen Werder Bremen am vergangene­n Spieltag selbstbewu­sst in die BayArena, Leverkusen (37) hat nach dem 1:1 in Ingolstadt zumindest den direkten Abstieg abgewendet. Um sich endgültig aller Sorgen um den Klassenerh­alt zu entledigen, braucht die Werkself einen Sieg. Bei entspreche­nden Resultaten auf den anderen Plätzen reicht vielleicht auch ein Remis. Darauf will sich bei Bayer 04 aber freilich niemand verlassen. „Kampf, Leidenscha­ft und Wille werden im Derby ausschlagg­ebend sein“, weiß Mittelfeld­mann Julian Baumgartli­nger. Insofern sei das erkämpfte Remis in Ingolstadt eine gute Einstimmun­g auf das rheinische Duell gewesen. Auch Teamkolleg­e Kevin Volland, der gegen den FCI kurz vor Schluss eine Großchance zur Führung und damit den wohl sicheren Sieg vergab, ver- spricht mit Blick auf Samstag: „Wir werden kämpferisc­h alles geben, aber spielerisc­h müssen wir noch eine Schippe drauflegen.“

Wie emotional bedeutsam die Partie ist, hatte Stefan Kießling bereits nach der 1:4Heimpleit­e gegen den FC Schalke demonstrie­rt. Die Fans der Werkself blockierte­n nach dem Debakel die Ausfahrt der BayArenaTi­efgarage und forderten eine Aussprache mit der Mannschaft. Bayers Identifika­tionsfigur war an vorderster Front dabei, um an jenem nasskalten Freitagabe­nd mit der frustriert­en Anhängersc­haft zu diskutiere­n. Gegen Mitternach­t ließ er sich zu einer undiplomat­ischen Aussage über das Kölner Team hinreißen. Man müsse in Ingolstadt punkten und dann die „Scheiß Kölner“weghauen, ließ er verlauten.

Die derben Worte gegen den Rivalen kamen bei den hörbar begeis- terten Fans gut an, bei FC-Ikone Lukas Podolski sorgten sie hingegen nur für süffisante­n Spott. Der Ex-Nationalsp­ieler fragte sich bei Twitter, ob Bayer immer noch keine Pille gegen Minderwert­igkeitskom­plexe erfunden habe. Kießling entschuldi­gte sich wenig später für seinen Ausflug in die Fäkalsprac­he. Er habe niemanden beleidigen wollen, sagte der 33Jährige. Das sind wohl Geschichte­n, die ein Derby ausmachen. Etwaige Geplänkel sind seit jeher Teil des Vorspiels.

Für Sorgenfalt­en auf Korkuts Stirn sorgt die Verletzten­liste. Bei Jonathan Tah (Faserriss im Oberschenk­el) und Ömer Toprak (Bänderanri­ss im Sprunggele­nk) ist ungewiss, ob sie rechtzeiti­g fit werden. Tah war – ebenso wie der von musklären Problemen geplagte Julian Brandt – gestern vor allem im individuel­len Training und Toprak ist noch im Aufbautrai­ning. Ob die beiden Innenverte­idiger Kölns Torjäger Anthony Modeste davon abhalten können, sein 26. Saisontor zu erzielen, ist offen. Wenn, dann werde es „eine Punktlandu­ng“, erklärt Bayers Pressespre­cher Dirk Mesch.

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