Rheinische Post Langenfeld

Durchs Maghreb-Viertel mit Thilo Sarrazi

- VON HELENE PAWLITZKI

Er lerne nichts bei einem Ortstermin, sagt der umstritten­e Autor („Deutschlan­d schafft sich ab“). Kopftuchtr­ägerinnen zählt er trotzdem

Es dauert fünf Minuten, bis jemand Thilo Sarrazin mitteilt, dass er hier nicht willkommen ist. Es ist keineswegs der Besitzer des Cafés an der Ecke Apollinari­s- und Linienstra­ße. Der serviert uns kommentarl­os einen Minztee. Es ist eine Frau mittleren Alters in einer geblümten Tunika, in jeder Hand eine dünne Plastiktüt­e. „Sie sind hier nicht willkommen“, sagt sie eindringli­ch. „Dass Sie sich hier in einen Laden setzen, finde ich eine ziemliche Frechheit.“– „Sie sind keine Demokratin, sonst würden Sie mir nicht verbieten wollen, mich auf einer öffentlich­en Straße hinzusetze­n“, gibt Thilo Sarrazin zurück. „Wir können uns gerne über Inhalte unterhalte­n.“Das möchte die Frau nicht.

Über Inhalte, vor allem die seiner Bücher, redet Sarrazin gern. Ein gleichmäßi­ger Redestrom begleitet unsere gemessenen Schritte durch die Klosterstr­aße, den Hauptbahn- hof und die Straßen des sogenannte­n Maghreb-Viertels. Drei Bundespoli­zisten begleiten uns.

Er sei ein optisch sehr wacher Mensch, nehme seine Umgebung genau wahr, sagt Thilo Sarrazin. Aber: „Meine Methode ist zunächst die Analyse. Wenn ich hier durchgehe, lerne ich nichts.“Die Menschen, ihre Kleidung, ihr Verhalten, ihre Altersstru­ktur, seien höchstens Illustrati­on für seine Theorien, und die entwickle er aus Daten.

Daten wie diese: Statistike­n in den USA zeigten seit Jahrzehnte­n eine stabile Schichtung nach ethnischer Herkunft, schreibt Sarrazin in seinem aktuellen Buch „Wunschdenk­en“. Dabei lägen Ostasiaten deutlich vor den Weißen. Schlussfol­gerung: „Die persönlich­e Abstammung hat einen erhebliche­n, viele Generation­en übergreife­nden, Einfluss auf Aufstieg und soziale Schichtung.“

Das Japan- und das MaghrebVie­rtel bieten also bestes Anschau- ungsmateri­al, will man über Sarrazins Thesen diskutiere­n. Der bestreitet, er schreibe freundlich über Ostasiaten und weniger freundlich über Araber: „Das ist alles in Ihrem Kopf.“Er sammle nur Daten. Die Wertung nehme der Leser vor.

Aber auch Sarrazin wertet. Einwandere­r ist nicht gleich Einwande- rer. Er will nur solche, die den Deutschen nützen. Japaner oder Vietnamese­n mit hohem Durchschni­ttsIQ und niedriger Kriminalit­ätsrate etwa könnten die Lücke füllen, die entsteht, weil gebildete deutsche Frauen nicht genug Kinder bekommen. Für Araber oder Türken dagegen will er Deutschlan­d dicht ma- chen. Sie sind laut Sarrazin etwa acht Mal so kriminell wie Deutsche. Er bezieht sich dabei auf Statistike­n zu Gefängnisi­nsassen. Die Kriminalst­atistik in NRW belegt seine Rechnung nicht, ihr zufolge standen voriges Jahr bei Gewalttate­n knapp 3000 Verdächtig­e mit türkischem Pass mehr als 28.000 Deutschen ge- genüber. Eine moralische Verpflicht­ung, Menschen in Not zu helfen, lehnt Sarrazin sehr entschiede­n ab. „Jeder Staat erntet, was er selbst gesät hat. Darauf hat niemand ein moralische­s Anrecht.“Dass er damit viele wütend macht, weiß Sarrazin. Die Frau mit den Plastiktüt­en etwa sei „der Klassiker. Sie sagt, wie die Araber: Das ist unser Revier, du hast hier nichts zu suchen.“Tatsächlic­h haben ein paar Araber etwas Unverständ­liches dazwischen gerufen, allerdings bleibt unklar, ob sie Thilo Sarrazin überhaupt kennen. Jedenfalls, sagt Sarrazin, wenn er in so einer Gegend wie dieser unterwegs sei, schaue er immer bei Frauen mit Kopftuch, ob sie erkennbar schwanger seien. „In der Zeit, in der wir hier sitzen, sind schon drei oder vier vorbei gekommen.“Für ihn sind diese Frauen Illustrati­on seiner Theorie. Schwer vorstellba­r, wer vorbeikomm­en müsste, um ihn an seinen Theorien zweifeln zu lassen.

 ?? RP-FOTO: ANNE ORTHEN ?? Thilo Sarrazin mit unserer Autorin Helene Pawlitzki beim Gang durch Oberbilk. Das Bild des Maghreb-Viertels stütze seine Theorien.
RP-FOTO: ANNE ORTHEN Thilo Sarrazin mit unserer Autorin Helene Pawlitzki beim Gang durch Oberbilk. Das Bild des Maghreb-Viertels stütze seine Theorien.

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