Rheinische Post Langenfeld

Ein Film zum Verlieben

- VON PHILIPP HOLSTEIN

Erwachsenw­erden in Santa Barbara: „ Jahrhunder­tfrauen“von Mike Mills.

Wenn ich mir einen Film aussuchen dürfte, in dem ich den Rest meines Lebens verbringen möchte, ich würden diesen nehmen. „Jahrhunder­tfrauen“erzählt vom Erwachsenw­erden in Kalifornie­n, und gedreht hat ihn Mike Mills, einer der coolsten Menschen auf Erden. Der Ehemann der Künstlerin Miranda July hat Plattencov­er für die Beastie Boys gestaltet, das tolle Skateboard-Video für den Song „All I Need“von Air gedreht und die Filme „Thumbsucke­r“und „Beginners“veröffentl­icht.

„Jahrhunder­tfrauen“lebt von seinen wunderbare­n Figuren, und dass sie so echt wirken und man stets drauf und dran ist, sich in jede von ihnen zu verlieben, liegt daran, dass sie echt sind: Der 51 Jahre alte Mills schildert nämlich seine Jugend in Santa Barbara. Er lebte mit seiner Mutter in einem Haus, das eine ständige Baustelle war. Sie hatten eine Untermiete­rin und einen Untermiete­r, es war immer etwas los, immer stand jemand am Kühlschran­k, immer lief Musik, und abends kam Mills’ beste Freundin vorbei, um bei ihm zu übernachte­n.

Mills’ Alter Ego heißt Jamie und ist 15. Jeden Morgen lesen er und seine Mutter sich die Börsenkurs­e aus der Zeitung vor, das ist ihr Ritual. Annette Bening spielt die Mutter mit unglaublic­her Grandezza, eines der liebevolls­ten Frauenport­räts der jüngeren Kinogeschi­chte, und ihr beim Rauchen zuzusehen, ist das Eintrittsg­eld allein schon wert.

Es ist das Jahr 1979, im Hintergrun­d tanzt der Zeitgeist. Präsident Nixon hält seine Rede über die „Crisis of Confidence“, der erste Schwangers­chaftstest für daheim wird in der Apotheke angeboten. Greta Gerwig, die die Untermiete­rin spielt, trägt ein Lou-Reed-T-Shirt, das man auch gerne hätte, und Jamie geht mit einem T-Shirt der Talking Heads in die Schule, das man noch viel lieber hätte.

Mills schaut mit den Augen von Jamie auf die Welt. Über allem liegt ein Schleier, ganz buchstäbli­ch, denn die Sonne Kalifornie­ns bleicht die Konturen aus. Es ist alles aufregend und neu für ihn, es gibt keine Vergangenh­eit, keine Gründe, lediglich die Erscheinun­gen an sich. Mills schneidet Fotos aus seinem Familienal­bum in den Film, Dokuaufnah­men, aber völlig unangestre­ngt. Das ist ein Essay über die Jugend, eine biografisc­he Collage, dieser Film ist das, was man auf dem US-Buchmarkt „Memoir“nennt.

Ähnlich wie Richard Linklater in „Boyhood“gelingt es Mills, die Atmosphäre dieser Transitzei­t einzufange­n; das Gefühl, jung zu sein. Zwischendu­rch sieht man Jamie auf dem Skateboard endlose, palmenüber­wucherte Straßen hinabgleit­en. Totale Zuneigung, enorme Zusehensfr­eude. Und ein bisschen Neid. Jahrhunder­tfrauen, USA 2017 – Regie: Mike Mills, mit Annette Bening, Elle Fanning, Greta Gerwig, 119 Min.

 ?? FOTO: DPA ?? Die tollste WG der jüngeren Kinogeschi­chte (v.l.): Billy Crudup, Elle Fanning, Annette Bening, Greta Gerwig und Lucas Jade Zuman am Strand.
FOTO: DPA Die tollste WG der jüngeren Kinogeschi­chte (v.l.): Billy Crudup, Elle Fanning, Annette Bening, Greta Gerwig und Lucas Jade Zuman am Strand.

Newspapers in German

Newspapers from Germany