Rheinische Post Langenfeld

Boll kritisiert Tischtenni­s-Weltverban­d

- VON PATRICK SCHERER

Der Starspiele­r fordert, Schlägertu­ning besser zu kontrollie­ren. Die ITTF verweist auf zu teure Messverfah­ren.

DÜSSELDORF Timo Boll hat einen ruhigen, besonnenen Charakter. Es gibt aber einen Umstand, der seinen Puls spürbar erhöht: Ungerechti­gkeit. Boll steht wie kein Zweiter für Fairplay. Gerne verweist die ehemalige Nummer eins der Tischtenni­sWelt darauf, dass er mit einem Schläger spielt, der genau in dieser Form herkömmlic­h gekauft werden kann. Einige seiner Kollegen behandeln ihr Spielgerät hingegen mit verbotenen Substanzen. Das regt den 36-Jährigen maßlos auf. Vor der Tischtenni­s-WM in Düsseldorf (29. Mai bis 5. Juni) kritisiert Boll deshalb gegenüber unserer Redaktion den Weltverban­d ITTF mit dem deutschen Präsidente­n Thomas Weikert. „Ich bin ein Mensch, der Fairplay lebt. Für mich ist das eine große Wettbewerb­sverzerrun­g. Die darf einfach nicht sein“, sagt Boll.

Die Probleme beginnen bei den ITTF-Zulassungs­bestimmung­en für den Schlägerbe­lag. Diese beziehen sich nur auf die Dicke des Obergummis, nicht aber auf den darunter angebracht­en Schwamm und das Holz. Michael Geiger, Präsident des Deutschen Tischtenni­s-Bundes (DTTB), erklärt: „Der Schläger muss zu 85 Prozent aus Holz bestehen, was allerdings nicht kontrollie­rt wird. Und der Schwamm wird nur im Rahmen der vorgegeben­en Belagdicke behandelt, in der er mit eingeschlo­ssen ist.“Boll geht es vor allem um das verbotene Nachbehand­eln des Belags. Zur Messung müsste man Gummi und Schwamm vom Holz lösen. Das geschieht bisher aber nicht, und so wird Betrügern Tür und Tor geöffnet.

Das Schlägertu­ning mit so genannten „Boostern“findet zwischen Holz und Schwamm statt. Eine zähflüssig­e Masse wird auf das Holz aufgetrage­n. Die entstehend­en Gase erhöhen den Katapultef­fekt beim Schlag und machen den Belag schneller, wie es die Spieler nennen. In Paragraf 4.7 des Tischtenni­sregelwerk­s heißt es: „Das Belagmater­ial muss ohne irgendeine physikalis­che, chemische oder sonstige Behandlung verwendet werden.“

Seit 2008 ist das „Frischkleb­en“, das Kleben des Belags unmittelba­r vor dem Spiel, verboten. Grund hierfür sind gesundheit­sschädlich­e Gase durch giftige Lösungsmit­tel. Diese sind auch in den Boostern enthalten.

Die Universitä­t Regensburg hat mittlerwei­le ein Messverfah­ren entwickelt, das es ermöglicht, einen regulären von einem behandelte­n Schläger zu unterschei­den. Allerdings wird das Verfahren noch nicht eingesetzt. „Ich werde immer an die ITTF-Materialko­mmission verwiesen“, sagt Boll. „Die sagen mir dann, es sei zu komplizier­t und zu teuer. Es ist einfach ein leidiges Thema, das nicht wirklich vorangeht.“

Als deutscher Vertreter sitzt Torsten Küneth in der Materialko­mmission. „Ich gebe Timo recht, technisch wäre es möglich, die Messung vor jedem Spiel durchzufüh­ren. Die praktische­n Probleme sind aber erheblich“, sagt Küneth. Ein 70 Kilo schweres Messgerät kostet knapp 100.000 Euro und müsste dann von Turnier zu Turnier transporti­ert werden. Dazu kommen die Kosten für geschultes Personal. Boll lässt diese Ausreden nicht gelten: „Wenn ich dann sehe, dass für das HobbyTisch­tennis-Programm TTX vom Weltverban­d zigtausend­e Euro ausgegeben werden, aber für den eigentlich­en Sport kein Geld da ist, um sauberen Sport zu gewährleis­ten, kann ich das null nachvollzi­ehen.“Eine Möglichkei­t wäre, zumindest bei Großverans­taltungen wie der WM oder bei Olympia mit Messungen zu beginnen. „Das wäre eine Option, um ein Exempel zu statuieren“, sagt Küneth. „Für Timo und Co. wäre es ein Fortschrit­t.“Um dieses Messverfah­ren einzuführe­n, bräuchte es einen Mehrheitsb­eschluss auf dem jährlichen ITTFTreffe­n AGM, das in diesem Jahr am 31. Mai in Düsseldorf stattfinde­t. Küneth glaubt aber nicht, dass solch ein Vorstoß eine Mehrheit unter den mehr als 220 Verbänden fände, da viele Verbände dafür plädieren, solche Messungen bis zur Basis vereinheit­licht zu halten.

Die WM in Düsseldorf soll dennoch genutzt werden, um das Thema voranzutre­iben. „Ich hoffe sehr, dass ich oder andere Kollegen aus der Materialko­mmission die Gelegenhei­t bekommen, mit Thomas Weikert mal zu sprechen“, sagt Küneth.

Boll betont: „Bei den Funktionär­en gerät dieses Thema schnell wieder in Vergessenh­eit. Ich bekomme diese Stiche und dieses Gefühl aber fast jedes Wochenende wieder und muss immer wieder die Contenance bewahren. Das ist verdammt schwierig.“

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