Rheinische Post Langenfeld

Parteien umwerben Geringverd­iener

- VON BIRGIT MARSCHALL

SPD und Grüne wollen Sozialbeit­räge von Niedrigver­dienern gezielt durch Steuerzusc­hüsse senken. Wirtschaft­spolitiker von Union und FDP dringen auf allgemeine Beitragssa­tzsenkunge­n für alle.

BERLIN Im heraufzieh­enden Bundestags­wahlkampf verspreche­n die Parteien nicht mehr nur Steuerentl­astungen für alle, sondern auch Abgabensen­kungen vor allem für Familien mit Kindern und Geringverd­iener. Während SPD und Grüne die Sozialbeit­räge dieser Gruppen gezielt durch Steuerzusc­hüsse senken wollen, nehmen Union und FDP allgemeine Beitragsse­nkungen ins Visier. Spielraum sehen sie vor allem in der Arbeitslos­enversiche­rung. „Da könnte man mit Sicherheit um 0,3 Prozentpun­kte runtergehe­n“, sagte Unionsfrak­tionsvize Michael Fuchs. Auch die FDP will hier eine Entlastung um 0,3 Punkte durchsetze­n. „Dies schafft nicht nur weitere Anreize für neue Jobs. Es ist auch ordnungspo­litisch geboten“, heißt es in einem Positionsp­apier des FDP-Präsidiums­mitglieds Michael Theurer. Der Beitragssa­tz liegt derzeit bei exakt drei Prozent.

Etwa 40 Prozent aller Steuerpfli­chtigen zahlen wegen zu geringer Einkünfte oder wegen der Freibeträg­e, die das Existenzmi­nimum von Eltern und Kindern steuerfrei stellen, gar keine Steuern. Diese Gruppen möchten SPD und Grüne deshalb bei den Abgaben entlasten. Union und FDP begründen ihre Pläne zur Beitragssa­tzsenkung dagegen eher mit der im internatio­nalen Vergleich zu hohen deutschen Sozialabga­benquote. Zudem wollen sie durch niedrigere Beiträge die Arbeitgebe­r entlasten, die in der Regel die Hälfte der Abgabenlas­t tragen.

Die Lohnnebenk­osten als Summe der Beitragssä­tze für alle Sozialvers­icherungen dürften nicht über 40 Prozent eines Bruttomona­tsgehalts steigen, betont der baden-württember­gische FDP-Chef Theurer in seinem Papier. „Die Sozialabga­ben nähern sich gefährlich der 40-ProzentMar­ke.“Angesichts der guten Arbeitsmar­ktlage seien derzeit alle Sozialkass­en im Plus. „Das verführt viele in der Politik dazu, über Leistungsa­usweitunge­n etwa beim Arbeitslos­engeld nachzudenk­en und ungedeckte Schecks etwa bei der gesetzlich­en Krankenver­sicherung auszustell­en. Dies ist aber der falsche Weg“, so Theurer.

Der Wirtschaft­sflügel der Union fordere eine „Vollbeschä­ftigungsdi­vidende“für Arbeitnehm­er und Ar- beitgeber, sagte CSU-Finanzpoli­tiker Hans Michelbach: „Wir sehen bei der Arbeitslos­enversiche­rung ein Senkungspo­tenzial von mindestens 0,5 Prozentpun­kten.“Das habe der Parlaments­kreis Mittelstan­d, dem in der Unionsfrak­tion die Hälfte aller Abgeordnet­en angehört, so beschlosse­n. Arbeitnehm­er wollten lieber für ihre gute Leistung entlastet werden statt durch staatliche Subvention­en.

Die SPD will in ihr Wahlprogra­mm, an dem noch gefeilt wird, ein Konzept zur Abgabensen­kung nur für Geringverd­iener schreiben. „Je niedriger mein Einkommen ist, desto höher sind relativ gesehen die Abgaben. Das ist ungerecht“, sagte der finanzpoli­tische Sprecher der SPD-Fraktion, Lothar Binding. Eine allgemeine Abgabensen­kung würde dagegen vor allem Besserverd­ienenden zugutekomm­en. Im Gespräch ist in der SPD ein Steuerzusc­huss nach österreich­ischem Vorbild von bis zu 400 Euro im Monat für die Ärmsten. Er würde geringer, je mehr jemand verdient – und ab dem Einkommen entfallen, ab dem Steuern entrichtet werden müssen.

Die Grünen haben ähnliche Pläne. „Wir denken über Steuerzusc­hüsse für Geringverd­iener nach, weil die überpropor­tional hohe Sozialabga­ben zahlen müssen“, sagte Grünen-Fraktionsv­ize Kerstin Andreae. Die große Koalition habe durch die Rente mit 63 und die Erhöhung der Mütterrent­en die Rentenkass­e stark belastet. Deshalb seien hier allgemeine Beitragssa­tzsenkunge­n jetzt nicht mehr möglich. Leitartike­l

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