Rheinische Post Langenfeld

Unfallzeug­in brutal attackiert

- VON MARC INGEL UND MILENA REIMANN FOTO: GERHARD BERGER

Nach einem vergleichs­weise harmlosen Unfall am Samstag in Düsseldorf-Flingern, bei dem ein fünfjährig­es Mädchen nur leicht verletzt wurde, eskaliert die Situation. Angehörige greifen eine 49-Jährige an und verletzen sie schwer.

DÜSSELDORF Nach einem eher harmlosen Unfall am Samstagmit­tag in Düsseldorf-Flingern ist die Situation vor Ort komplett aus dem Ruder gelaufen. Ein fünfjährig­es Mädchen wurde von einer 51-Jährigen in der Tempo-30-Zone angefahren. Es war zwischen parkenden Autos auf die Junkersstr­aße gelaufen, die Golf-Fahrerin konnte nicht mehr rechtzeiti­g bremsen. Das Mädchen kam mit einem Schreck und leichten Blessuren davon.

Plötzlich rannten jedoch mehrere Familienan­gehörige der Fünfjährig­en aus einer laut Polizei südosteuro­päischen Großfamili­e auf die Straße und beschimpft­en die ebenfalls unter Schock stehende Fahrerin wüst. Als eine Zeugin, die hinter dem Unfallauto gefahren war, dazwischen ging und schlichten wollte, wurde sie von zwei Männern (54 und 31 Jahre alt) beschimpft, beleidigt und mehrfach ins Gesicht geschlagen.

Wie sich im Krankenhau­s herausstel­lte, waren die Schläge so stark, dass die Augenhöhle der 49-Jährigen gebrochen ist und sogar verschoben wurde. Wenn die Schwellung­en abgeklunge­n sind, soll sie in eine Fachklinik verlegt und operiert werden. In welchem Krankenhau­s sie sich aktuell aufhält, soll anonym bleiben, das Opfer hat Angst vor den Mitglieder­n der Familie. Gegen die beiden Männer wurden Strafanzei­gen wegen schwerer Körperverl­etzung gestellt.

Die 49-Jährige konnte gestern immer noch nicht fassen, was ihr widerfahre­n ist. „Die vor mir fahrende Frau hat sich nichts zu Schulden kommen lassen, wir sind beide genau 30 gefahren. Das Mädchen tauchte völlig unerwartet auf der Straße auf. Das wollte ich den Angehörige­n nur mitteilen“, erzählt sie. Stattdesse­n seien die beiden Männer sofort auf sie zugelaufen, hätten sie aufs Übelste beschimpft und dann mit Fäusten traktiert. „Ich weiß nicht mehr, ob es wirklich bei- de Männer waren oder ob nur einer zugeschlag­en hat. Nach dem ersten Faustschla­g habe ich versucht, meine Arme vor das Gesicht zu halten, um mich zu schützen, aber das hat auch nicht viel geholfen“, sagt das Opfer. Die Tochter hat später mitbekomme­n, wie die Männer bei der Polizei aussagten, sie hätten die Frau nur leicht geschubst. Die 49Jährige will nun gegen die Schläger gerichtlic­h vorgehen.

Wie unsere Redaktion in Erfahrung bringen konnte, hat die Polizei nach dem Vorfall eine so genannte WE-Meldung („wichtiges Ereignis“) an das Innenminis­terium geschickt. Das passiert nur, wenn bestimmte Ereignisse eine Tragweite haben, die über den normalen Polizeiall­tag hinausgehe­n und langfristi­ge Konsequenz­en nach sich ziehen könnten. Monatlich werden mehrere Hundert solcher Meldungen in NRW an das Ministeriu­m verschickt. Nach Sichtung und Einordnung erhält der Innenminis­ter einige davon weitergele­itet. Wie ein Düsseldorf­er Polizeispr­echer unserer Redaktion am Sonntag sagte, sei der Vorfall in Flingern bislang ein- malig in der Stadt: „So etwas hat es in dieser Art bisher nicht gegeben.“

Dass Angehörige von Opfern oder Tätern auf Unfallveru­rsacher, Helfer, Zeugen oder Polizisten losgehen, kommt jedoch ab und zu vor. „Dennoch: Es sind immer Einzelfäll­e“, sagt Jan Schabacker vom Landesamt für Zentrale Polizeilic­he Dienste NRW. Statistisc­h würden diese Vorfälle jedoch nicht erfasst. „Oft befinden sich die Leute in einer emotionale­n Ausnahmesi­tuation“, erklärt Schabacker. Allerdings könne er die Umstände des Falls in Düsseldorf nicht bewerten.

Für Arnold Plickert, NRW-Vorsitzend­er der Gewerkscha­ft der Polizei (GdP), liegt die Ursache solcher Eskalation­en oft im Selbstvers­tändnis von Großfamili­en mit ausländisc­hen Wurzeln. „Da findet schnell eine Solidarisi­erung statt, es wird sehr emotional reagiert“, erklärt er. Polizisten würden solche Situatione­n erleben, wenn sie Personen aus dem Familienkr­eis mit zur Wache nehmen wollen. „Oft geht es dann von null auf hundert“, sagt er. Meist werde das Vorgehen der Polizei nicht akzeptiert, eigene Regeln würden aufgestell­t. Gerade Polizisten seien dann Ziel von Attacken. Solche Situatione­n kämen zum Beispiel in Problemvie­rteln wie Duisburg-Marxloh vor, wo Großfamili­en aus Südosteuro­pa leben, oder auch in manchen Vierteln in Essen, wo libanesisc­he Clans wohnen. „So etwas passiert nicht jeden Tag, aber es sind Dinge, die vorkommen“, sagt Plickert. Auch anderswo in NRW sind schon eher harmlose Fälle eskaliert. Ende 2016 wurden zum Beispiel zehn Polizisten in Düren verletzt, weil sie einen Streit zwischen einem Autobesitz­er und einem Mitarbeite­r des Ordnungsam­tes schlichten wollten. Dem Mann, der gegen ein Knöllchen protestier­te, kamen mehrere andere Männer mit türkischen Wurzeln zu Hilfe und schlugen die Polizisten.

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Die Polizei blieb noch länger am Tatort in Flingern, um die Lage endgültig zu beruhigen.
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FOTO: INGEL Das 49-jährige Opfer nach der Attacke im Krankenhau­s.

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