Kai Havertz‘ letzte Prüfung
Der 17-Jährige hat die Chaos-Saison unter dem Bayer-Kreuz für seinen persönlichen Durchbruch genutzt. Beim 6:2-Sieg in Berlin war er mit einem Doppelpack zur Stelle. Bevor es in den Urlaub geht, steht aber noch ein wichtiger Termin bevor.
BERLIN In Wolfsburg hatte der Bahnmitarbeiter endgültig genug. Per Lautsprecherdurchsage ließ er die ausschließlich in schwarz und rot gekleideten „Fußballfreunde“in Wagen 23 des ICE 842 von Berlin Richtung Köln am Samstagabend wissen: „Wenn Sie sich nicht ab sofort ruhig verhalten, werden Sie alle in Hannover aussteigen müssen.“Zwar stimmten ein paar Bayer-Fans trotz aller Drohungen noch weitere Gesänge an, doch danach wurde es allmählich ruhig – und niemand musste aussteigen.
Die Anhängerschaft der Werkself hatte endlich wieder etwas zu feiern – ein seltener Zustand in dieser Saison. Zum einen den Kantersieg beim künftigen Europa-League-Teilnehmer Hertha BSC. Und zum anderen Kai Havertz. In der Schlussphase der für den Werksklub enttäuschenden Spielzeit hat sich der Youngster zum Stammspieler entwickelt. Er ist die Entdeckung der Saison.
„Man hat gesehen, dass wir Fußball spielen können und einiges draufhaben. Es hat es einfach Spaß gemacht, auf dem Platz zu stehen“, sagte er. Trotz seiner zwei Treffer war der gebürtige Aachener aber nicht restlos zufrieden. „Die Chance war da, sogar einen Hattrick zu erzielen.“Eine bemerkenswert selbstkritische Aussage, schließlich landeten zwei seiner drei Torschüsse im Netz. Für Havertz war es der Abschluss einer Spielzeit, in der er als einziger Bayer-Profi in fünf Wettbe- werben am Start war: Im der A-Junioren-Bundesliga, der UEFA Youth League, im DFB-Pokal, der Bundesliga und der Champions League.
Ex-Coach Roger Schmidt hatte ihn am 7. Spieltag gegen Werder Bremen erstmals eingesetzt. Es folgten 23 weitere Auftritte, fünf Torvorlagen und vier Treffer – eine Wahnsinnsbilanz für den 17-Jährigen. „Dass wir die Saison so abschließen, ist natürlich super“, sagte Havertz nach dem klaren Sieg. Er ist einer der wenigen Gewinner in einer Spielzeit, in der es fast nur Verlierer gab. Dabei profitierte der offensive Mittelfeldspieler auch von der vier-
„Man hat gesehen, dass wir Fußball spielen kön
nen. Es hat es einfach Spaß gemacht, auf dem
Platz zu stehen“ „Vor einem Jahr hätte ich es mir nicht erträumen können, dass es für
mich so läuft“
Kai Havertz monatigen Sperre von Hakan Calhanoglu und der anhaltenden Formkrise von Karim Bellarabi. „Vor einem Jahr hätte ich es mir nicht erträumen können, dass es für mich so läuft“, sagte Havertz. Für die Mannschaft sei das freilich eine andere Geschichte. „Aber man sieht, was wir für eine Qualität haben. Das sollte uns Kraft geben, in der nächsten Saison wieder anzugreifen.“
Eine letzte Prüfung muss er allerdings noch bestehen: Am 30. Mai legt Havertz, der seit 2010 das Bayer-Trikot trägt, seine mündliche Abiturprüfung in Mathematik am LandratLucas-Gymnasium in Opladen ab. Erst danach geht es in den Urlaub. Zur U19-EM, die ab Juli in Georgien ausgetragen wird, reist Havertz auf eigenen Wunsch nicht. „Ich versuche, den Kopf freizubekommen – auch wegen der Doppelbelastung. So kann ich frisch in die neue Saison starten.“