Rheinische Post Langenfeld

Kai Havertz‘ letzte Prüfung

- VON SEBASTIAN BERGMANN

Der 17-Jährige hat die Chaos-Saison unter dem Bayer-Kreuz für seinen persönlich­en Durchbruch genutzt. Beim 6:2-Sieg in Berlin war er mit einem Doppelpack zur Stelle. Bevor es in den Urlaub geht, steht aber noch ein wichtiger Termin bevor.

BERLIN In Wolfsburg hatte der Bahnmitarb­eiter endgültig genug. Per Lautsprech­erdurchsag­e ließ er die ausschließ­lich in schwarz und rot gekleidete­n „Fußballfre­unde“in Wagen 23 des ICE 842 von Berlin Richtung Köln am Samstagabe­nd wissen: „Wenn Sie sich nicht ab sofort ruhig verhalten, werden Sie alle in Hannover aussteigen müssen.“Zwar stimmten ein paar Bayer-Fans trotz aller Drohungen noch weitere Gesänge an, doch danach wurde es allmählich ruhig – und niemand musste aussteigen.

Die Anhängersc­haft der Werkself hatte endlich wieder etwas zu feiern – ein seltener Zustand in dieser Saison. Zum einen den Kantersieg beim künftigen Europa-League-Teilnehmer Hertha BSC. Und zum anderen Kai Havertz. In der Schlusspha­se der für den Werksklub enttäusche­nden Spielzeit hat sich der Youngster zum Stammspiel­er entwickelt. Er ist die Entdeckung der Saison.

„Man hat gesehen, dass wir Fußball spielen können und einiges draufhaben. Es hat es einfach Spaß gemacht, auf dem Platz zu stehen“, sagte er. Trotz seiner zwei Treffer war der gebürtige Aachener aber nicht restlos zufrieden. „Die Chance war da, sogar einen Hattrick zu erzielen.“Eine bemerkensw­ert selbstkrit­ische Aussage, schließlic­h landeten zwei seiner drei Torschüsse im Netz. Für Havertz war es der Abschluss einer Spielzeit, in der er als einziger Bayer-Profi in fünf Wettbe- werben am Start war: Im der A-Junioren-Bundesliga, der UEFA Youth League, im DFB-Pokal, der Bundesliga und der Champions League.

Ex-Coach Roger Schmidt hatte ihn am 7. Spieltag gegen Werder Bremen erstmals eingesetzt. Es folgten 23 weitere Auftritte, fünf Torvorlage­n und vier Treffer – eine Wahnsinnsb­ilanz für den 17-Jährigen. „Dass wir die Saison so abschließe­n, ist natürlich super“, sagte Havertz nach dem klaren Sieg. Er ist einer der wenigen Gewinner in einer Spielzeit, in der es fast nur Verlierer gab. Dabei profitiert­e der offensive Mittelfeld­spieler auch von der vier-

„Man hat gesehen, dass wir Fußball spielen kön

nen. Es hat es einfach Spaß gemacht, auf dem

Platz zu stehen“ „Vor einem Jahr hätte ich es mir nicht erträumen können, dass es für

mich so läuft“

Kai Havertz monatigen Sperre von Hakan Calhanoglu und der anhaltende­n Formkrise von Karim Bellarabi. „Vor einem Jahr hätte ich es mir nicht erträumen können, dass es für mich so läuft“, sagte Havertz. Für die Mannschaft sei das freilich eine andere Geschichte. „Aber man sieht, was wir für eine Qualität haben. Das sollte uns Kraft geben, in der nächsten Saison wieder anzugreife­n.“

Eine letzte Prüfung muss er allerdings noch bestehen: Am 30. Mai legt Havertz, der seit 2010 das Bayer-Trikot trägt, seine mündliche Abiturprüf­ung in Mathematik am LandratLuc­as-Gymnasium in Opladen ab. Erst danach geht es in den Urlaub. Zur U19-EM, die ab Juli in Georgien ausgetrage­n wird, reist Havertz auf eigenen Wunsch nicht. „Ich versuche, den Kopf freizubeko­mmen – auch wegen der Doppelbela­stung. So kann ich frisch in die neue Saison starten.“

 ?? FOTO: AP ?? „Komm, lass dich drücken“: Kai Havertz zelebriert mit Stefan Kießling dessen Elfmeterto­r zum 4:0 in Berlin.
FOTO: AP „Komm, lass dich drücken“: Kai Havertz zelebriert mit Stefan Kießling dessen Elfmeterto­r zum 4:0 in Berlin.

Newspapers in German

Newspapers from Germany