Rheinische Post Langenfeld

REPUBLIK

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Angst vor dem Last-Minute-Wähler Die Strategen für den Bundestags­wahlkampf sind in einer schwierige­n Lage: Etwa jeder dritte Wähler entscheide­t erst ganz kurz vor dem Urnengang.

Ihre Wahlverspr­echen horten die Parteien inzwischen wie Eichhörnch­en die Nüsse vor einem langen kalten Winter. Vor allem Union und SPD rüsten sich mit dieser Taktik für den kurzen heißen Wahlkampfs­ommer.ImmermehrW­ähler treffen ihre Entscheidu­ng erst kurz vor der Wahl. Etwa jeden dritten Wähler zählen die Demoskopen inzwischen zu den Unentschlo­ssenen, die erst kurz vor dem Gang zur Wahlurne entscheide­n. Zudem existiert ein Reservoir von rund sechs Millionen Nichtwähle­rn, die angesichts der gestiegene­n Mobilisier­ung voraussich­tlich wieder ein Kreuz machen werden. Offen aber ist, für wen sie sich nach einer Phase der Politik-Abstinenz entscheide­n.

Für die Strategen in den Wahlkampfz­entralen ist es schwierig, mit dieser Ausgangsla­ge umzugehen. Mit von langer Hand geplanten Kampagnen ist ein relevanter Teil der Wähler nicht zu erreichen. Daher achten die Parteien darauf, für die heiße Phase vor der Wahl noch ein wenig Pulver trockenzuh­alten.

Der Schulz-Hype, der im Februar und März die Umfragen der Meinungsfo­rschungsin­stitute durcheinan­derwirbelt­e und im Mai ebenso schnell wieder verrauchte, hat nicht nur in der SPD Besorgnis ausgelöst. Auch in den anderen Parteizent­ralen sind die Wahlkämpfe­r ein wenig demütiger geworden. Der Wählerwill­e lässt sich immer weniger steuern und einschätze­n, als dies zu früheren Zeiten der Fall war.

Für den raschen Aufstieg des SPDKanzler­kandidaten Martin Schulz in den Beliebthei­tsskalen und seinen ebenso schnellen Abstieg lassen sich viele gute Gründe und überzeu- gende Erklärunge­n finden. Es bleibt aber ein Staunen über die Heftigkeit der Bewegung zurück, der etwas Irrational­es anhaftet.

Eben dieser Rest Unerklärli­chkeit in der politische­n Meinungsbi­ldung macht den Wahlkampfs­trategen zu schaffen. Er verleitet sie dazu, mit Bangen auf das Ende des Wahlkampfs zu schauen.Trugen 2002 die Elbe-Flut und der Kampf gegen ihre fürchterli­chen Auswirkung­en für die betroffene­n Menschen entscheide­nd zum Wahlsieg der SPD bei, so gibt es heute eine ganze Reihe an Unwägbarke­iten, die das Land treffen und die politische Stimmung beeinfluss­en könnten. Naturkatas­trophen gehören immer noch dazu.

Aber auch Cyber-Attacken gegen einzelne Parteien oder Regierungs­einrichtun­gen sind denkbar, ein Terroransc­hlag, eine erneute Zunahme der Zahl der Flüchtling­e, ein neuer internatio­naler Krisenherd – ein jedes dieser denkbaren Ereignisse kann eine Bundestags­wahl entscheide­nd beeinfluss­en. Vorbereite­n können sich die Wahlkämpfe­r darauf nur wenig. Ihre Meinung? Schreiben Sie unserer Autorin: kolumne@rheinische-post.de

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