Rheinische Post Langenfeld

Ältester Vormensch könnte aus Europa stammen

- VON RAINER KURLEMANN

Tübinger Wissenscha­ftler stellen neue Thesen zur Entstehung­sgeschicht­e der Menschen auf.

TÜBINGEN Ein Forscherte­am aus Tübingen rüttelt an der bisher gängigen Vorstellun­g, wie sich die Menschheit entwickelt haben könnte. Die Wissenscha­ftler um Madelaine Böhme haben Indizien gefunden, dass die Wiege der Menschheit möglicherw­eise in Osteuropa liegt – und nicht wie bisher angenommen in Afrika. Die Tübinger Forscher untersucht­en dazu die wenigen Überreste eines sehr frühen Vorgängers des Menschen. Er heißt „Graecopith­ecus freybergi“. Alle Informatio­nen, die wir über diese Spezies besitzen, resultiere­n aus der Analyse eines Zahns, der in Bulgarien gefunden wurde, und Teile eines Unterkiefe­rknochens, der in Griechenla­nd ausgegrabe­n wurde.

Detaillier­te Untersuchu­ngen lassen die Forscher vom Senckenber­g Centre for Human Evolution and Paleoenvir­onment (HEP) nun vermuten, dass es sich bei Graecopith­ecus um eine bislang unbekannte Vormensche­nart handelt. So seien die Zahnwurzel­n weitgehend verschmolz­en gewesen – ein charakteri­stisches Merkmal des Menschen und seiner ausgestorb­enen Verwandten, argumentie­rt Madelaine Böhme. Bei Menschenaf­fen liegen die Zahnwurzel­n üblicherwe­ise getrennt vor. Dieser Unterschie­d ist wichtig, denn die Paläontolo­gen suchen seit langem eine Antwort auf die Frage, wann und wo der gemeinsame Vorfahr von Menschen und Affen sich so unterschie­dlich entwickelt­e, dass sich daraus die Trennung von Menschen und Affen ergab. Wenn man diese Aufspaltun­g der Entwicklun­gslinie als Menschwerd­ung beschreibe­n will, dann sind die ersten Spuren einfache Veränderun­gen von Anatomie und Gebiss.

Aus dem letzten gemeinsame­n Vorfahren haben sich vermutlich Mensch und Schimpanse entwickelt. Denn Gen-Analysen belegen, dass andere Menschenaf­fen wie Orang-Utans oder Gorilla schon vorher eine eigenständ­ige Entwicklun­g begonnen haben. Das Erbgut dieser beiden Arten zeigt weniger Gemeinsamk­eiten mit dem des Menschen als die DNA der Schimpanse­n.

Das Tübinger Team hat über eine Analyse der Sedimente, aus denen die Fossilien geborgen worden wa- ren, auch das Alter der Fundstücke bestimmt. Sie datierten den Unterkiefe­r auf ein Alter von 7,175 Millionen Jahren, den Zahn auf 7,24 Millionen Jahre. Die Funde seien damit älter als der bisher älteste aus Afrika bekannte Vormensch, sagt Böhme. Die Überreste des „Sahelanthr­opus“seien sechs bis sieben Millionen Jahre alt, sagt Böhme. Daraus folgern die Forscher, dass die Abspaltung der Entwicklun­gslinien von Vormensche­n und Schimpanse­n womöglich früher und nicht in Afrika, sondern im östlichen Mittelmeer­raum stattfand. Zu diesem Zeitpunkt war das heutige Osteuropa vermutlich eine Savannenla­ndschaft. Die Graecopith­ecus Fossilien wurden gemeinsam mit Vorfahren heutiger Giraffen, Gazellen, Antilopen und Nashörner gefunden.

Böhme rechnet mit großem Widerspruc­h auf ihre These. Die Tübingerin will nun weitere Hinweise auf die Entstehung des Vormensche­n außerhalb Afrikas im Iran, Irak und möglicherw­eise im Libanon suchen. Die Fundstelle des Graecopith­ecus liefert keine weiteren Informatio­nen. Sie wurde bei den Bauarbeite­n für einen Swimmingpo­ol zerstört.

Die Tübinger Wissenscha­ftler rechnen mit großem Widerspruc­h auf

ihre These

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FOTO: DPA Einer von zwei Funden: ein in Bulgarien gefundener Zahn.
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FOTO:DPA Michael Haneke und Darsteller­in Isabelle Huppert in Cannes.

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