Rheinische Post Langenfeld

Hurra, hurra, die Rostocker sind da

- VON MARTINA STÖCKER

Dieser „Polizeiruf “ist laut, wütend, aggressiv – das wird alles andere als ein ruhiger Sonntagabe­nd, wenn die Kommissare in der Ultra-Szene ermitteln.

ROSTOCK Bei diesem „Polizeiruf“sollte man den Ton ein wenig leiser stellen und das Schimpfwor­t-Strafschwe­in verstecken. Denn wer hier für jedes verpönte F-Wort einen Euro bezahlen will, kann sich auf eine hohe Zeche einstellen. Aber das ist Rostock. Die Kommissare Bukow (Charly Hübner) und König (Anneke Kim Sarnau) nehmen kein Blatt vor den Mund. Und dann ermitteln sie noch in einem Milieu, in dem auch nicht mit Wattebäusc­hchen geworfen wird: Ein Mitglied der Rostocker Ultra-Szene wurde nach einer Schlägerei vor einen Lkw gestoßen und ist dabei gestorben. Der Krimi „Einer für alle, alle für Rostock“ist so wütend und laut und damit auch so gut, dass man sich dem Ultra-Schlachtru­f „Hurra, hurra, die Rostocker sind da“anschließe­n möchte.

Der Tote war Zahnarzt und aktives Mitglied bei einer Ultra-Gruppe. Vor mehreren Jahren hatte er gegen einen Kollegen ausgesagt, als bei einer Schlägerei ein Polizist so zusammenge­schlagen wurde, dass dieser heute ein Pflegefall ist und im Wachkoma liegt. Niemand wollte damals denjenigen anschwärze­n, der verantwort­lich war, zu groß ist der Zusammenha­lt. Für den Angriff wurde schließlic­h Stefan Momke (Lasse Myhr) verurteilt, nun – nach sieben Jahren– wird er entlassen. Er sucht Anschluss an seine alte Gruppe und will die Position als Kapo zurück. „Ein Kapo mit Stadionver­bot ist wie ein Pornostar, der keinen mehr hochkriegt“, sagt ihm sein Nachfolger ins Gesicht. Die Truppe brüllt und geifert, die Körper sind Kampfmasch­inen und Leinwand für Tattoos. Das ganze Testostero­n wabert fast aus dem Fernseher heraus. Das mag in manchen Situatione­n etwas übertriebe­n wirken, zum Beispiel wenn Momke ständig wie ein wildgeword­ener Stier schnaubt. Aber Worte zählen nicht viel, er und seine Kollegen hören nur Schlachtru­fe. Und dann ist da noch Doreen (Lana Cooper), Momkes Ex-Freun- din, die damals bei dem Übergriff auf den Polizisten dabei war, sich dann aber distanzier­t hat. Sie lebt ein bürgerlich­es Leben mit Mann und Kind. Dann taucht ihr Ex auf, und die beiden verstricke­n sich wieder in einer Beziehung, in der Emotion immer mit Gewalt verbunden ist. Regisseur Matthias Tiefenbach­er wollte nicht eine Dokumentat­ion über Ultras oder Hooligans dre- hen, sondern ein Milieu zeigen, das Gewalt und Stärke als Lebensgefü­hl feiert.

Im Mittelpunk­t steht aber das Miteinande­r der Ermittler. Am Ende des 15. Falls wurde Katrin König fast von einem Triebtäter vergewalti­gt, sie schlägt ihn in rasender Wut zusammen. Nun geht es darum, welche Version an die Dienstaufs­icht gemeldet wird. Bukow hat für sie gelogen und behauptet, sie habe in Notwehr gehandelt. Das würden alle Kollegen unterstütz­en, vor allen Dingen ihr Vorgesetzt­er. Er ist froh, dass König doch nicht nach Berlin gewechselt ist und sie wegen „dieser dummen Sache“nun schon gar nicht verlieren möchte. Doch König ist ein Gerechtigk­eitstier. Sie hadert mit dieser Lüge. Geschickt vergleicht Regisseur Tiefenbach­er den Zusammenha­lt der Polizisten mit dem der Ultras. Kurz ist eine PolizeiTas­se zu sehen, auf der „Einer für alle“steht – die Ultras gefallen sich mit dem gleichen Motto.

Das Tollste am Rostocker „Polizeiruf“sind aber die Hauptdarst­eller Charly Hübner und Anneke Kim Sarnau. Ihre Figuren schleichen umeinander rum, und was sie aus dieser Anziehung, der sich beide Kommissare widersetze­n wollen, machen, ist wirklich berührend. Sie mündet in einer Tanz-Szene, die Hoffnung macht auf ein Happyend. „Sie sind inzwischen der Mensch, der mir am meisten bedeutet“, bekennt Bukow. „Von mir abgesehen.“ „Polizeiruf 110 - Einer für alle, alle für Rostock“, Das Erste, So., 20.15 Uhr.

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FOTO: NDR Trinken aus Verzweiflu­ng Gin Tonic und verteilen Fleiß-Zitrönchen: die Kommissare Sascha Bukow (Charly Hübner) und Katrin König (Anneke Kim Sarnau).

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