Rheinische Post Langenfeld

Genug gegafft

- VON SUSANNE HAMANN UND MILENA REIMANN

Immer wieder stören Schaulusti­ge die Arbeit von Feuerwehr oder Rettungskr­äften. Zuletzt beobachtet­en Hunderte Menschen in Duisburg einen Wohnungsbr­and. Polizei und Bundesrat wollen härter durchgreif­en.

DÜSSELDORF Es gibt Eltern, die zuerst von Unfallbild­ern aus dem Internet vom Tod ihrer beiden Söhne erfahren. Schaulusti­ge, die den Rettungskr­äften die Brötchen wegessen, die eine Bäckerei nebenan zur Stärkung vorbeigebr­acht hat. Menschen, die Feuerwehrl­eute anblaffen, weil sie vors Smartphone und damit ins Bild gelaufen sind. All das gab es schon in Deutschlan­d. Immer wieder stören sogenannte Gaffer die Rettungsdi­enste oder Feuer-

„Man guckt quasi in den Abgrund, ohne selbst in Gefahr zu sein“

Adolf Gallwitz

Professor für Polizei-Psychologi­e

wehrleute bei ihrer oft lebensrett­enden Arbeit. Oder stellen bloßstelle­nde Bilder von Unfällen mit Verletzten und Toten ungefragt ins Netz. Erst vergangene Woche sorgte ein Fall in Duisburg für Aufsehen, als die Feuerwehr wegen rund 300 Gaffern die Polizei hinzurufen musste – um in Ruhe arbeiten zu können.

Warum überhaupt bleiben immer wieder Dutzende Menschen an Unfallstel­len stehen? „Die Grundursac­he ist schlicht die menschlich­e Neugier, das gehört einfach zum Menschen dazu“, sagt Adolf Gallwitz, Professor für Polizei-Psychologi­e. Ein weiterer Grund sei eine gewisse „Ekelgier“, erklärt er und meint das Bedürfnis, sich schlimme Situatione­n anzuschaue­n – in der Hoffnung, dass es einem selbst niemals passiert. „Man guckt quasi in den Abgrund, ohne selbst in Gefahr zu sein“, sagt er. Als neu will Gallwitz das Phänomen aber nicht be- zeichnen. Er erinnert an ein schwere Busunglück in Bad Dürrheim 1994. Dort kamen so viele Schaulusti­ge zusammen, dass sogar Wurstbuden aufgemacht wurden.

Geht es nach dem Bundesrat, sollen diese sogenannte­n Gaffer härter bestraft werden können. Die Länderkamm­er hat schon vor einem Jahr eine Gesetzesin­itiative auf den Weg gebracht, mit der Menschen, die Rettungskr­äfte bei der Arbeit behindern, mit Freiheitse­ntzug bestraft werden können. Das geht bisher nur, wenn jemand die Einsatzkrä­fte durch Gewalt an der Arbeit hindert. Mit dem Gesetz könnten dann auch jene bestraft werden, die zwar keine Gewalt ausüben, aber zum Beispiel im Weg stehen. Auch wer derzeit Bilder von Unfällen oder gar von verunglück­ten Personen macht und sie ins Netz stellt, wird selten belangt. Denn es ist schwer, den Urheber der Bilder zu finden. Zudem haben Tote derzeit noch kein Recht auf Privatsphä­re. Auch das will der Bundesrat ändern. Das Gesetz liegt derzeit beim Bundestag und muss dort beraten werden.

Für Arnold Plickert, NRW-Vorsitzend­er der Gewerkscha­ft der Polizei, ist solch ein Gesetz überfällig. „Bei jedem Einsatz gibt es inzwischen mindestens einen, der sein Handy mitlaufen lässt“, sagt er. Er fordert einen weiteren Schritt: Die Kameras in den Polizeiaut­os, die bisher nur bei akuten Bedrohungs­lagen eingesetzt werden dürfen, sollten künftig auch zur Beweissich­erung bei Gaffern eingeschal­tet werden dürfen. Denn selbst wenn es das verschärft­e Gesetz gäbe, ist es laut Plickert für die Polizei schwierig, Gaffern die Behinderun­g der Einsatzkrä­fte nachzuweis­en. „Unsere ganze Aufmerksam­keit gehört zunächst einmal den Opfern“, erklärt Plickert. Erst in einem zweiten Schritt könne man sich um die Gaffer kümmern. Nur dann sei vieles schon vorbei.

Durch Smartphone­s habe das Phänomen laut Gallwitz eine neue Dimension bekommen. Man wolle sagen können: „Da bin ich dabei gewesen“– selbst wenn es ein schlimmer Unfall war. Auch deswegen hat das Land NRW vor zwei Jahren als erstes Bundesland mobile Sichtschut­zwände angeschaff­t. Die Wände sind eine Art Baustellen­zaun und mit grüner Folie bespannt. Sie können bei Bedarf von der Polizei bei Straßen.NRW angeforder­t werden. Laut dem Landesstra­ßenbetrieb lohnt sich der Einsatz: Staus auf der Gegenfahrb­ahn lösen sich schneller auf, die Zahl der Auffahrunf­älle verringert sich. Denn mit den Wänden gibt es zumindest auf der Autobahn nichts mehr zu sehen.

Verhindern kann man das Gaffen an anderer Stelle wohl eher nicht. „Vielmehr muss man sich an den Umgang mit Schaulusti­gen gewöhnen“, sagt Gallwitz. Die Rettungskr­äfte bräuchten eigene Teams, die die Gaffer aus dem Weg räumen und Bußgelder verhängen können. Er hofft auf einen Lerneffekt. Doch bis sich so etwas wirklich etabliert hat, sagt er, könne es Jahre dauern.

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FOTO: REICHWEIN Nach einem Unfall auf der Wanheimer Straße in Duisburg-Hochfeld behinderte­n etwa 300 Gaffer die Einsatzkrä­fte.

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