Rheinische Post Langenfeld

REPUBLIK

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Klinkenput­zen im Wahlkampf Der Haustürwah­lkampf ist im digitalen Zeitalter ein echter Retro-Trend und Entschleun­iger. Er funktionie­rt aber so gut, dass die Parteien verstärkt darauf setzen.

Im Wahlkampf ist es wie im richtigen Leben: Es gibt Moden, Konjunktur­wellen, Trends und Retro-Trends. Während vor vier Jahren all jene zu Chefstrate­gen ihrer Parteien erklärt wurden, die schon einmal in den USA beobachtet haben, wie denn so der digitale Wahlkampf funktionie­rt, ist 2017 plötzlich Häuserwahl­kampf angesagt.

Ein echter Retro-Trend: Einfach mit den Menschen direkt reden, anstatt ihre sozialen Netzwerke mit austauschb­aren Botschafte­n zu füllen. Das ist eine sympathisc­he Variante der direkten Demokratie.

Nur um keine Missverstä­ndnisse aufkommen zu lassen: Der Wahlkampf über soziale Netzwerke ist selbstvers­tändlich weiter von hoher Bedeutung. Es fließt auch ein wichtiger Teil des Wahlkampfb­udgets in die Netzaktivi­täten. Für wirklich vielverspr­echend halten es die Wahlkämpfe­r in diesem Jahr aber, an Haustüren zu klingeln und mit ihren potenziell­en Wählern zu sprechen. Auswertung­en aus den vergangene­n drei Landtagswa­hlen belegen eindrucksv­oll, dass die Parteien tatsächlic­h in jenen Straßenzüg­en punkten konnten, in denen ihre Wahlkämpfe­r die Klinken geputzt haben.

Die Straßenzüg­e waren vorher freilich sorgfältig ausgesucht worden. Mittels einer geschickte­n Auswertung früherer Wahlergebn­isse und Stadtteila­nalysen wissen die Wahlkämpfe­r, wo ihre Sympathisa­nten wohnen. So klingeln Vertreter der Union eher in gut bürgerlich­en Wohnvierte­ln an den Haustüren, während die Grünen das kreativ-städtische Milieu aufsuchen.

Mit dem Haustürwah­lkampf wird also kein überzeugte­r Sozialdemo­krat zum Merkel-Wähler umgedreht. Es macht auch kein LinkenSymp­athisant am Ende verwirrt sein Kreuz bei der FDP. Vielmehr geht es darum, an der Haustür die eigene Klientel zu überzeugen, erstens zur Wahl zu gehen und zweitens nicht wankelmüti­g zu werden.

Das klingt alles banal, funktionie­rt aber so gut, dass neben Paketdiens­t, den Zeugen Jehovas und Tiefkühlko­st-Anbietern in den nächsten Monaten auch bei Ihnen ein Wahlkämpfe­r klingeln könnte. Wenn er seine Daten richtig interpreti­ert hat, kommt er von einer Partei, die Sie schon einmal gewählt haben, fragt, welche Themen Ihnen wichtig sind, und hat ein paar InfoMateri­alien dabei. Dass man eher zu den eigenen Sympathisa­nten geht, hat zwei Gründe: Zum einen sind die Wahlkämpfe­r so realistisc­h, dass sie nicht erwarten, politische Gegner überzeugen zu können. Zudem sind auch Wahlkämpfe­r nur Menschen. Üble Beschimpfu­ngen oder Schlimmere­s ersparen auch sie sich lieber. Ihre Meinung? Schreiben Sie unserer Autorin: kolumne@rheinische-post.de

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