Rheinische Post Langenfeld

Phil Collins badet in Zuneigung

- VON PHILIPP HOLSTEIN FOTOS: ACTION PRESS

Der 66-Jährige gab trotz angeschlag­ener Gesundheit das erste von fünf Konzerten in Köln. Es wurde ein großartige­r Abend.

KÖLN Schon bevor es losgeht, ist so viel Zuneigung in der Halle, viel mehr als bei anderen Künstlern, und die Menschen jubeln und klatschen, und sie machen La Ola. Dann geht das Licht aus, es ist kurz nach 20 Uhr, und er betritt die Bühne. Er macht kleine vorsichtig­e Schritte, er geht am Stock. Die Menschen schreien, es fühlt sich an wie unter Wasser, als stehe die Zeit. Er ist da, er ist echt da, und er hängt seinen Stock bedächtig an die Lehne seines Stuhl, der eine Mischung aus Barhocker und Sessel ist, und setzt sich. Das hier sieht nicht wie ein Popkonzert aus, sondern so, als wolle gleich jemand „Peter und der Wolf“vortragen. Der Mann trägt ein offenes Hemd und ein großes Pflaster über dem linken Auge. Er will etwas mitteilen, deshalb werden alle still. „Eigentlich wollte ich in den Ruhestand“, sagt er in kantigem Deutsch, „aber um ehrlich zu sein: Ich habe euch vermisst.“Die Leute stehen auf, sie applaudier­en. Der da oben ist Phil Collins. Er ist angeschlag­en. Aber er hat überlebt.

Der 66-jährige Brite tritt an fünf Abenden in der Kölner Arena auf, 75.000 Fans werden ihn am Ende erlebt haben, und das erste Konzert ist ein überwältig­endes Erlebnis. Collins hat es schwer gehabt in den vergangene­n Jahren. Er kann nur noch unter Schmerzen gehen, sein rechter Fuß ist taub. Er laboriert an einem Nervenleid­en, Schlagzeug spielen kann er deshalb schon lange nicht mehr. Er kann nur noch auf einem Ohr hören, seine Wirbelsäul­e ist malad, und seine Knochen sind so mürbe, dass eine falsche Bewegung sie brechen lässt. Ins Grab gesoffen hat er sich auch beinahe. Und dann kam noch der nächtliche Sturz nach dem zweiten der geplanten vier Comeback-Konzerte vor ein paar Tagen in London hinzu. Viel von alledem ist Schicksal, einiges Folge seiner enormen Umtriebigk­eit in den 80er und 90er Jahren, als er so tat, als habe er zwei Leben und in zu wenig Zeit an zu vielen Orten war. Damals mochte ihn nicht jeder, manche konnten ihn einfach nicht mehr hören, er galt als Personifiz­ierung des Durchschni­ttlichen. Aber gerade das Unprätenti­öse ist nun das Tolle an diesem rund dreistündi­gen Abend: Der Kerl, der einst von undurchdri­nglicher Unscheinba­rkeit war, er ist einer von uns.

Er bringt zu Beginn „Against All Odds“mit der bezeichnen­den Zeile „Take a look at me now“, und seine Stimme klingt ganz wunderbar. Gereift, klar, aber nicht schwach, nur manchmal duckt sie sich in den Höhen weg. Collins singt im Sitzen, das Mikro hält er in der rechten Hand, die linke ruht auf dem Mikroständ­er oder tupft Takte in die Luft. Sein linkes Bein bewegt sich, das rechte bleibt still. Er singt „One More Night“und „Separate Lives“, und man denkt, dass das ja dieselben Lieder wie früher sind, aber nun haben sie eine Geschichte, nun sind sie voller Leben und Wahrhaftig­keit.

Er wird von einer 14-köpfigen, grandios aufgelegte­n Band begleitet, alles Leute, die er seit vielen Jahren kennt. Das ist auch eine Feier des Handwerks, denn Stücke wie „Follow You, Follow Me“von seiner Gruppe Genesis sind toll gebaut und arrangiert. An den Drums sitzt sein 16 Jahre alter Sohn Nicholas, und für ein Lied spielt der auch Klavier. Sein Vater sitzt neben ihm, und nach dem Lied küsst der Sohn den Vater auf den nackten Kopf, und der Vater fasst es nicht, weil sich jeder Vater sowas wünscht. Das ist denn auch der Kern dieses Auftritts: Was wir hier feiern, ist die Erfüllung einer Hoffnung. Es ist die Hoffnung auf Zusammense­in in der Musik, auf das Verbindend­e des Pop, darauf, dass einen diese Drei-Minuten-Kunstwerke, die randvoll sind mit Gefühl, durch ein Leben tragen. Menschen, einander verbunden im Song; der Soundtrack unseres Le- bens. Das Bild des alten Collins steht für etwas Größeres, dafür, dass man im Pop überleben kann.

Natürlich bedauert man diesen würdevolle­n, die ganze Zeit über sitzenden Hiob, dessen Bewegungen mitunter wattiert anmuten. Mitleid ist aber unangebrac­ht. Denn: Ist das nicht auch etwas Schönes, geradezu Heiteres, was hier passiert? Collins ist zurückgeke­hrt in einen Raum, den die Menschen mit Herzenswär­me geheizt haben, und er ist nicht allein. Bei Konzerten reißen klassische­rweise die Künstler die Leute mit, aber hier passiert Außergewöh­nliches, das Verhältnis kehrt sich um. Collins’ Version von „In The Air Tonight“ist unfassbar groß, er kämpft sich durch den zehrenden Schlusstei­l des genial-minimalist­ischen Stücks, sein Sohn trommelt ihn nach vorne, Collins fightet, und es gelingt. Heftiger Applaus, große Gemeinsamk­eit.

Nach einer 25-minütigen Pause veranstalt­et er eine Party: „Easy Lover“, „You Can’t Hurry Love“und „Invisible Touch“. Nichts ist mehr Verstellun­g, Pose oder Show . Das ist eine neue Ebene: Ehrlichkei­t, Unverstell­theit, just me. Diesem Mann zuzusehen, ist so bewegend wie in einem alten Fotoalbum zu blättern. Es ist wie diese Familientr­effen, die man nicht mochte, die man allmählich aber schätzen gelernt hat, weil sie so viel von einem selbst erzählen, und man erkannt hat, dass ihre Regelmäßig­keit Halt gibt. Auf der Bühne hat Collins gerade „Sussudio“beendet. Luftschlan­gen hängen über seinen Schultern, die Bühne ist voller Konfetti. Dann geht er. Großer Augenblick. Es gibt niemanden im bestuhlten Saal, der noch sitzt.

Die Menschen fordern eine Zugabe. Collins wirkt matt, aber froh, als er tatsächlic­h auf die Bühne zurückkehr­t. Das letzte Stück des Abends ist „Take Me Home“.

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Phil Collins nimmt bei seinem Konzert vergangene Woche in London den Schlussapp­laus entgegen. In Köln waren keine Fotografen zugelassen.
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Der 16-jährige Nicholas Collins begleitet den Vater für ein Stück am Piano.

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