Rheinische Post Langenfeld

FRAGE DES STILS

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Opas Weinbrandb­ohnen

Mein Großvater mochte keine Weinbrandb­ohnen, bekam sie gleichwohl regelmäßig geschenkt. Eine Weile ließ er sie im Schrank liegen, kümmerte sich nie um irgendein Haltbarkei­tsdatum – und ich bekam sie weitergere­icht, wenn ich ihn besuchte. Er wollte mir eine Freude machen! Da der Opa 104 Jahre alt wurde und sich die Gabe von Weinbrandb­ohnen zeitlebens nie verbeten hatte, wurde ich über einen sehr sehr langen Zeitraum mit schokoladi­gen Alkoholika versorgt. Ich habe sie ebenfalls nie gegessen, weil ich sie nicht mochte.

Ich erinnere mich, dass ich die Dinger einmal nicht entsorgt, sondern weitervers­chenkt habe. Danach hatte ich ein schlechtes Gewissen; es war ein Geschenk der sozusagen dritten Generation. Der von mir Bescherte fand die Böhnchen aber sehr lecker. Immerhin!

Darf man Geschenke, die einem selbst nicht gefallen, weitersche­nken? Und sogar Einfallsre­ichtum heucheln? Schwierig, aber nicht verboten. Ein Beispiel: Man bekommt ja oft Weine in knallbunte­n Tüten geschenkt, die einem noch nie geschmeckt haben, die andere aber für ein grandioses Tröpfchen halten. Warum nicht weitersche­nken? Zirkulatio­n der Warenwelt!

In manchen Situatione­n ist es weise, mit offenen Karten zu spielen. Das hat den Vorteil, dass man dem Beglückten reinen Wein einschenke­n kann: „Du, dieses Buch habe ich selbst gelesen, ich finde es großartig, und dir könnte es bestimmt auch gefallen. Es ist mein eigenes Exemplar.“Gewiss könnte man es auch kaufen, aber wenn das eigene Buch in gutem Zustand ist, hat eine Darreichun­g aus den eigenen Beständen etwas Persönlich­es. Aber bitte: Immer nett einpacken, nicht bloß aus dem Regal ziehen!

Man sollte übrigens zwingend darauf achten, dass auf der Innenseite des Umschlags keine handschrif­tliche Gratulatio­n mit verfänglic­her Privatheit („In ewiger Liebe“) steht. Haben Sie Themenvors­chläge? Bitte per Mail an stilfrage@rheinische-post.de

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