Rheinische Post Langenfeld

Ein bekanntes Reusrather Gesicht ist 100

- VON CRISTINA SEGOVIA-BUENDÍA

Grete Steffens aus Opladen half früher regelmäßig im Edeka-Laden ihrer Tochter an der Trompeter Straße aus.

LANGENFELD/LEVERKUSEN Wenn Grete Steffens ihr Leben Revue passieren lässt, braucht sie nicht lange nachzudenk­en. Mit 99 Jahren erinnert sie sich an Daten, für die andere in Geschichts­büchern blättern. Sie hat zwei Weltkriege miterlebt und den ersten Flug des Menschen zum Mond: „Ich wurde am 19. Juni 1917 geboren, im Steckrüben-Jahr“, sagt die Frau, die ältere Reusrather noch als Helferin im Lebensmitt­elmarkt ihrer Tochter kennen, und erläutert: „Was anderes gab es damals nicht zu essen.“

Es waren harte Zeiten in Armut, die Steffens miterlebt hat: Krieg, die mehrjährig­e Gefangensc­haft ihres Ehemannes, der Tod ihrer Zwillinge, Familiensc­hicksale, die sie immer wieder zurückwarf­en. Und dennoch ist die Seniorin, die heute noch eigenständ­ig in ihrer Wohnung in Opladen lebt, kein bisschen lebensmüde: „Ich hoffe, dass ich noch einige Jahre mit meinen Liebsten habe.“

Zur Welt kam Steffens, als Jüngste von drei Schwestern, in Wiesdorf, lebte aber immer in Opladen. Nach zehn Jahren kam noch ein Brüderchen zur Welt. Von ihnen lebt heute keiner mehr. Allein ist die bald 100Jährige trotzdem nicht: Ihre Tochter Ingrid Gräf, die viele Jahre einen Edeka-Markt an der Trompeter Straße in Reusrath betrieb, wo Mutter Grete häufig aushalf, kümmert sich um die betagte Frau.

Auch ihre Enkelin, für die Steffens ein Buch mit ihrer Lebensgesc­hichte geschriebe­n hat, und die beiden Urenkel beschenken sie mit Liebe. „Wenn der Jüngste kommt, bekomme ich viele Küsschen“, sagt sie und strahlt. Nachbarn und Freunde seien ihr eine große Hilfe.

Mit 13 Jahren wurde sie von ihrer Mutter „in Stellung“gebracht. Heißt: Dem jungen Mädchen wurde die Familie vorgestell­t, bei der es fortan im Haushalt arbeitete. „Das Geld musste ich zu Hause abgeben, wir hatten ja nichts. Nur wenn Kirmes war, bekam ich von meinem Vater 20 Pfennige.“Mit 18 ging sie zu Bayer, wo sie sieben Jahre in der Kartonage arbeitete.

Ihren Mann heiratete sie am 14. August 1941: „Die Hochzeitsm­esse wurde gefeiert, doch wir waren nicht da.“Peter Steffens, eigentlich Friseur, wurde am Tag seiner Hochzeit als Soldat zum Einsatz gerufen.

1943 wurde Tochter Ingrid geboren, während der Vater an der Front kämpfte: „Eine schlimme Zeit“, sagt die Seniorin und faltet die Hände. „Als der Krieg endlich vorbei war, hisste mein Vater eine weiße Fahne aus dem Fenster.“Ihr Mann geriet in Frankreich in Kriegsgefa­ngenschaft. „Er kam erst am 19. Mai 1948, zum fünften Geburtstag unserer Tochter, nach Hause. Ein ganz lieber und toller Mann“, sagt die Opladeneri­n und seufzt. 59 Jahre waren sie verheirate­t, ehe er starb.

Gestern hat Grete Steffens ihren 100. Geburtstag mit 35 Gästen im „Stippenhüs­chen“an der Altstadtst­raße in Opladen gefeiert. Statt Blumen sammelte die Jubilarin Spenden für „Ärzte ohne Grenzen“. „Nach den vielen Erlebnisse­n, weiß ich selbst nicht, wie ich so viele Jahre leben konnte“, sagt sie und fügt hinzu: „Man muss einen festen Glauben haben, sonst übersteht man das nicht.“

 ?? RP-FOTO: UWE MISERIUS ?? „Man muss einen festen Glauben haben, sonst übersteht man das nicht“, sagt Grete Steffens. Am gestrigen Montag wurde sie 100 Jahre alt.
RP-FOTO: UWE MISERIUS „Man muss einen festen Glauben haben, sonst übersteht man das nicht“, sagt Grete Steffens. Am gestrigen Montag wurde sie 100 Jahre alt.

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