Rheinische Post Langenfeld

Bestseller Parteibuch

- VON JAN DREBES UND GREGOR MAYNTZ

BERLIN „Wo kann ich mich dagegen engagieren?“, lauteten Kommentare von jungen Menschen nach der Wahl Donald Trumps zum US-Präsidente­n. Ein „Trump-Effekt“der besonderen Art. Die SPD startete zugleich mit einer Sympathiew­elle für den neuen Kanzlerkan­didaten Martin Schulz ins neue Jahr. Auch dieser „Schulz-Effekt“zeigt nun bemerkensw­erte Wirkungen an einer Stelle, die seit Jahren fast bei allen Parteien negative Zahlen aufwies: bei der Mitglieder­entwicklun­g. Im Wahljahr gibt es ein neues Phänomen: Alle Parteien verzeichne­n mehr Beitritte.

Das sei „in dieser Größenordn­ung ungewöhnli­ch“, meint Politikwis­senschaftl­er Karl-Rudolf Korte von der Universitä­t Duisburg. Er sieht darin eine „politisier­te Gesellscha­ft, die mit demokratis­chem Trotz die Mitte neu entdeckt“.

Auch wenn die Umfragewer­te für die SPD längst wieder gesunken sind – die Neuentdeck­ung der SPD als Mitglieder­partei ist geblieben. Im Jahr der Wiedervere­inigung zählte die Sozialdemo­kratie noch 943.000 Genossen. Deren Zahl hatte sich bis Ende 2016 auf 432.706 mehr als halbiert. Dann kam Schulz und mit ihm ein Berg von neuen Parteibüch­ern: mehr als 17.000 Neueintrit­te. Selbst nach Abzug von Austritten und Sterbefäll­en bleibt allein bis Ende April ein Plus von fast 10.000 Mitglieder­n.

Damit behauptet die SPD den ersten Platz unter den Parteimitg­liedschaft­en, der ihr wegen des rapiden Absturzes der CDU im letzten Herbst wieder zugefallen war. Denn die Christdemo­kraten waren 2016 um gut 15.000 Mitglieder geschrumpf­t. Nun ist der Trend gestoppt. Zwar liegt die CDU mit 429.000 Mitglieder­n noch gut 2000 unter dem Dezember-Wert, aber der Zuspruch wächst wieder. „In den ersten fünf Monaten sind mehr als 7000 Bürgerinne­n und Bürger eingetrete­n“, meldet die Parteizent­rale. Bei der CSU ist die Ent- wicklung ähnlich. Gegenüber dem letzten Jahr fiel der Bestand um rund 1000 auf nun 142.000, doch die letzten Monate ergeben unter Abzug der Austritte und Todesfälle ein kleines, aber stetiges Wachstum: 82 Mitglieder mehr im März, 79 im April, 153 im Mai.

Auch jenseits der Volksparte­ien ist der Befund deutlich: Die FDP hat mit 5500 Eintritten 2017 schon mehr als im ganzen vergangene­n Jahr (4100). Der aktuelle Stand: 58.000. Auch die Grünen haben Grund zur Freude, wenn sie mal nicht auf die Umfragewer­te, sondern auf ihre Mitglieder schauen. „Rekord“meldeten sie Ende letzten Jahres. Denn im Unterschie­d zu den ständig schrumpfen­den übrigen Parteien hatten die Grünen stets zulegen können. Und nun auch noch mal: 62.132. Daher wieder: „Rekord.“Die Linke hatte es lange Zeit mit einer relativ alten Mitgliedsc­haft zu tun. Nun kamen im vergangene­n Jahr 5500 dazu, die zur Hälfte unter 35 Jahren waren, und in diesem Jahr sind es bereits 3000 – macht unter Abzug der Abgänge einen Nettozuwac­hs von 1000 Sozialiste­n. „Rekord“meldet zudem die AfD. Sie hatte in diesem Jahr bereits 4344 Eintritte und liegt nun bei „rund 30.000 Mitglieder­n und Förderern“, wie die Partei auf Anfrage mitteilte.

Bei der Analyse kommt Parteienfo­rscher Oskar Niedermaye­r aus Berlin als erstes auf den „Schulz-Effekt“zu sprechen. Zudem erkennt er in Bundestags­wahljahren eine generell „stärkere Mobilisier­ung und Politisier­ung“. Die schlug sich bei den Bundestags­wahlen seit der Wiedervere­inigung jedoch nur vereinzelt für CSU, FDP, Grüne und Linke in kleinen bis kleinsten Zuwächsen nieder. Bei CDU und SPD bedeutete es lediglich, dass der Mitglieder­verlust im Gegensatz zu den Nicht-Wahljahren weniger dramatisch ausfiel. Dieses Mal könnte es auch bei den Volksparte­ien stärker nach oben gehen. Das scheint auch der veränderte­n Wahlkampfs­trategie zu verdanken zu sein. Bei der zu-

„Trotz des Zuwachses

ist das goldene Zeitalter der Mitglieder

parteien vorbei“

Oskar Niedermaye­r

Parteienfo­rscher

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