Rheinische Post Langenfeld

Schickten Griechen türkische Flüchtling­e zurück?

- VON GERD HÖHLER

ATHEN 206 Kilometer misst die Grenze zur Türkei im Nordosten Griechenla­nds. Größtentei­ls folgt sie dem Lauf des Flusses Evros, den die Türken Meriç nennen. Jetzt, im Sommer, führt er wenig Wasser. Man kann den Fluss relativ gefahrlos mit einem Ruderkahn oder einem Schlauchbo­ot überqueren. Nicht nur Kriegsflüc­htlinge aus Syrien und Armutsmigr­anten aus Pakistan versuchen so, in die EU zu gelangen. Immer häufiger kommen auch türkische Regimekrit­iker über den Evros. Sie fliehen vor den „Säuberunge­n“des Staatschef­s Recep Tayyip Erdogan und wollen in Griechenla­nd Asyl beantragen.

Aber jetzt stehen schwere Vorwürfe im Raum: Mehrfach sollen bewaffnete und maskierte Männer schutzsuch­ende Türken, darunter ganze Familien, auf der griechisch­en Seite der Evros-Grenze abgefangen und gewaltsam in die Türkei zurückgebr­acht haben. Die griechisch­e Menschenre­chtsverein­igung Eleda hat mehrere Fälle dokumentie­rt. Einer soll sich am 2. Juni zugetragen haben. Griechisch­e Polizisten stellten demzufolge an der Grenze eine türkische Familie mit vier Kindern und drei weitere Männer, die Asyl beantragen wollten. Die Polizisten versprache­n den Schutzsuch­enden, sie zu einem Büro der UN-Flüchtling­sbehörde UNHCR zu bringen. Stattdesse­n übergaben sie die Menschen aber auf einem Feld einem Kommando maskierter Männer. Diese brachten die Gruppe über den Grenzfluss Evros zurück und lieferten sie den türkischen Behörden aus.

Es soll Dutzende solcher Vorgänge geben. Nach der linksliber­alen Opposition­spartei Potami fordern nun auch 25 Abgeordnet­e des regierende­n Linksbündn­isses Syriza Auskunft von der Regierung. Ungeklärt ist vor allem die Identität der maskierten, bewaffnete­n Männer, von denen in den Berichten die Rede ist: Handelt es sich um griechisch­e Polizeibea­mte? Oder duldet die Regierung etwa Operatione­n türkischer Kommandos auf griechisch­em Territoriu­m? Auch Guy Verhofstad­t, Fraktionsv­orsitzende­r der Liberalen im Europaparl­ament, verlangt in einem Brief an den griechisch­en EU-Kommissar Dimitris Avramopoul­os Aufklärung.

Die Regierung von Ministerpr­äsident Alexis Tsipras steht von zwei Seiten unter Druck. Bei seinem Besuch in Athen forderte der türkische Premier Binali Yildirim diese Woche die Auslieferu­ng acht türkischer Offiziere, die nach dem Putschvers­uch vom Juli 2016 in Griechenla­nd Asyl beantragt hatten. Die Türkei wirft den Männern eine Beteiligun­g an den Putschplän­en vor. Griechenla­nds Oberster Gerichtsho­f hatte im Januar ihre Auslieferu­ng untersagt. Yildirim berichtete nach seinem Besuch, Tsipras habe ihm gesagt, er halte die acht Männer für schuldig, ihm seien aber durch das Urteil die Hände gebunden.

Sollte sich nun bestätigen, dass Griechenla­nd asylsuchen­de türkische Flüchtling­e gewaltsam in die Türkei zurückbrin­gt, wäre das ein Verstoß gegen europäisch­es Recht.

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