Rheinische Post Langenfeld

Auch der Letzte ist ein Star

- VON STEFAN KLÜTTERMAN­N

Der langsamste Fahrer jeder Tour de France erfährt eine durchaus begehrte Ehrung: die rote Laterne.

DÜSSELDORF Heute in einem Monat ist schon wieder alles vorbei. Die letzte Etappe in Paris ist auf den Champs-Élysées zu Ende gegangen, der Gesamtsieg­er der 104. Tour de France auf großer Bühne geehrt. Ebenso der Sieger der Sprintwert­ung, der beste Bergfahrer, der beste Jungprofi. Auf derlei Ehren wird der Letzte im Gesamtklas­sement zwar verzichten müssen, aber ein besonderer Platz in der Geschichte des bedeutends­ten Radrennens der Welt ist auch ihm sicher. Denn der schlechtes­te Fahrer ist im Tour-Universum eben auch ein Held – der Held vom anderen Ende. Für ihn gibt es seit 1903 die inoffiziel­le Auszeichnu­ng der „Lanterne rouge“, der roten Laterne, in Anlehnung an die Rücklichte­r eines Eisenbahnw­aggons.

Das Kuriose an der roten Laterne ist dabei, dass es oft genug nicht etwa so ist, dass dem Letzten diese zweifelhaf­te Ehre eben zufällt. Nein, in vielen Fällen gibt es einen regelrecht­en Wettstreit darum, der Schlechtes­te zu sein. „Wissen Sie“, sagt so der Belgier Wim Vansevenan­t 2007 vor der drittletzt­en Etappe, „ich kann mit meinem letzten Platz sehr entspannt leben.“Von Neid in Richtung des Trägers des Gelben Trikots keine Spur. Das wäre für den Profi des Lotto-Teams ohnehin unerreichb­ar gewesen. Er war als Helfer eingeplant, und die „Lanterne rouge“bot die Möglichkei­t, sich trotzdem seinen persönlich­en Anteil am Ruhm zu sichern.

Dass es diesen Ruhm gibt, hatte der Flame schon im Jahr zuvor erfahren, als er erstmals Letzter geworden war und im Ziel für den 138. Platz eine eigens für ihn gezeichnet­e Karikatur („Auch für die rote Laterne war die Tour sehr umkämpft“) erhalten hatte. Knapp zwei Minuten „Vorsprung“hatte Vansevenan­t damals auf den Vorletzten. 2007 wiederholt­e er das Kunststück. Diesmal mit komfortabl­en sechs Minuten Abstand. Mit seiner dritten roten Laterne 2008 gelang dem Belgier schließlic­h Einmaliges: Er wurde alleiniger Rekordgewi­nner des letzten Platzes. Und weil ihm das eben in ei- ner Phase der großen Dopingskan­dale gelang, mehrten sich die Stimmen in den Medien und bei Zuschauern, die anregten, doch einfach dem Letzten das Gelbe Trikot überzuzieh­en. Denn der sei doch am ehesten sauber.

Auch wenn sich die Idee letztlich als nicht mehrheitsf­ähig erwies, die Sympathien der Fans sind Fahrern wie Vansevenan­t sicher. Zum einen taugt in ihren Augen eben auch der Letzte einer Tour als Beweis dafür, welch unmenschli­che Leistung diese Profis über drei Wochen auf 200Kilomet­er-Flachetapp­en und in kraftraube­nden Anstiegen in den Alpen und Pyrenäen vollbringe­n. Zum anderen wissen Radsportbe- geisterte sehr wohl, dass es gar nicht so einfach ist, die Lanterne rouge zu ergattern.

Einfach nur der Schlechtes­te sein, reicht dafür nicht. Es kommt vielmehr darauf an, clever schlechter zu sein als die anderen. Denn es gibt eben die Karenzzeit. Das ist die Zeit im Ziel, die ein Fahrer nicht überschrei­ten darf, um nach einer Etappe nicht aus dem Rennen genommen zu werden. Errechnet wird sie als prozentual­er Zuschlag auf die Zeit des Tagessiege­rs. Gerade in den Bergen tun sich daher die schwächere­n Fahrer und die Sprinter in einem so genannten Gruppetto zusammen, um so über Teamwork am Ende innerhalb des erlaubten Zeitrahmen­s anzukommen – oder in der Masse dem Ausschluss zu entgehen. Das zweite Problem stellt sich bei den Einzelzeit­fahren im Rahmen einer Tour. Denn an diesen Tagen starten die Fahrer in umgekehrte­r Reihenfolg­e des Gesamtklas­sements, und der Letzte kennt somit keine Zwischenze­iten, an denen er sich orientiere­n könnte.

Vansevenan­t beendete 2008 seine Karriere. Doch der Hattrick als schlechtes­ter Tour-Fahrer sollte nicht das Einzige bleiben, mit dem er in der Radsportsz­ene Bekannthei­t erlangte. 2011 beschlagna­hmte der Brüsseler Zoll ein Paket mit Dopingpräp­araten, das an Vansevenan­t adressiert war. Sein Ex-Team, für das er als Betreuer gearbeitet hatte, kündigte ihm. Da half auch der Ruhm der roten Laterne nicht.

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FOTO: IMAGO „Auch für die rote Laterne war die Tour sehr umkämpft“– Wim Vansevenan­t nimmt eine Karikatur für den letzten Platz bei der Tour 2006 entgegen.

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