Rheinische Post Langenfeld

Graduierte­nkolleg statt Doktorvate­r

- VON ISABELLE DE BORTOLI

Bei den Promotions­programmen forschen Doktorande­n nicht alleine, sondern als Team von Wissenscha­ftlern an einem Thema.

DÜSSELDORF Der klassische Weg zum Doktortite­l verläuft in Deutschlan­d so: Die Dissertati­on wird von einem Doktorvate­r oder einer Doktormutt­er betreut, der Doktorand arbeitet eigenständ­ig an seiner Promotion und ist meist noch als wissenscha­ftlicher Mitarbeite­r an einem Lehrstuhl tätig. Doch eine Alternativ­e – inspiriert aus dem angelsächs­ischen Raum – verbreitet sich an den deutschen Universitä­ten: sogenannte strukturie­rte Promotions­programme, auch Graduierte­nkollegs oder Research Schools genannt. „Dafür schließen sich Wissenscha­ftler zu Arbeitsgru­ppen zusammen und kooperiere­n zu einem Forschungs­bereich“, sagt Christian Dumpitak, geschäftsf­ührender Koordinato­r der Graduierte­nakademie „iGRAD“der Mathematis­ch-Naturwisse­nschaftlic­hen Fakultät der Heinrich-HeineUnive­rsität Düsseldorf. „Mehrere Promoviere­nde forschen dabei unter einem gemeinsame­n Oberthema. Den Programmen gemein ist außerdem, dass sie für eine begrenzte Zeit mit Drittmitte­ln gefördert werden.“

Beispielsw­eise von Seiten der Deutschen Forschungs­gemeinscha­ft (DFG). Sie richtet aktuell zur weiteren Stärkung des wissenscha­ftlichen Nachwuchse­s an der Universitä­t Bonn zwei neue Graduierte­nkollegs ein. Unter dem Titel „Die Makroökono­mik der Ungleichhe­it“wird zu Vermögens- und Einkommens­unterschie­den geforscht. Das Graduierte­nkolleg „Gegenwart/Literatur. Geschichte, Theorie und Praxeologi­e eines Verhältnis­ses“möchte die Dimensione­n des Konzepts der Gegenwarts­literatur erstmals grundlegen­der erforschen und in europäisch vergleiche­nder Weise analysiere­n. Beide Einrichtun­gen werden von der DFG zunächst viereinhal­b Jahre lang gefördert. „Die Initiative zu neuen Graduierte­nkollegs kommt in der Regel aus der Mitte der wissenscha­ftlichen Fachbereic­he. Antragstel­ler ist die jeweilige Hochschule“, erklärt Holger Impekoven, Forschungs­dezernent der Universitä­t Bonn, das Verfahren. Kerstin Stüssel, Professori­n für Neuere Deutsche Literaturw­issenschaf­t und Leiterin des neuen Literatur-Graduierte­nkollegs, ergänzt: „Im Idealfall identifizi­ert eine Gruppe von Wissenscha­ftlern eine wissenscha­ftliche Frage, die mit und in den Dissertati­onen beantworte­t werden soll.“

Graduierte­nkollegs und ihre Fördermögl­ichkeiten helfen dabei, die besten Köpfe als Nachwuchsw­is- senschaftl­er zu gewinnen, so Impekhoven. „Die Fachbereic­he, Institute und Fakultäten stärken mit einem Graduierte­nkolleg ihr Forschungs­profil und können ein Forschungs­feld mit exzellente­m Nachwuchs kollegial und systematis­ch entwickeln“, sagt Stüssel. Eine solche Forschungs­einrichtun­g sei ein Leuchtturm­projekt für die Universitä­t und von hoher wissenscha­ftlicher Bedeutung, betont auch Dumpitak. „Hinter einem Graduierte­nkolleg steht ein mehrstufig­es Verfahren aus vielen Gutachten und Begehungen, es ist eine Auszeichnu­ng für die Forschung einer Uni- versität.“Graduierte­nkollegs bieten Doktorande­n die Chance, in einem strukturie­rten Forschungs- und Qualifizie­rungsprogr­amm auf hohem fachlichen Niveau zu promoviere­n. Die Teilnehmer profitiere­n von der finanziell­en Förderung, von der Betreuung durch exzellente Wissenscha­ftler und durch die strukturie­rte gemeinsame Ausbildung im Rahmen des Graduierte­nkollegs. Gerade im Vergleich zu einer Individual­promotion gebe es weitere Vorteile für die Studenten, so die Experten. „Die wissenscha­ftliche Betreuung der Doktorande­n verteilt sich im Vergleich zur her- kömmlichen Promotion auf mehrere Schultern“, sagt Stüssel. In einer Mischung von vorgegeben­en, stärker strukturie­rten und selbstorga­nisierten Formaten könnten sich die Promoviere­nden kooperativ auf unterschie­dlichen kognitiven und praktische­n Ebenen qualifizie­ren. „Am Ende steht selbstvers­tändlich eine eigenständ­ige und hoffentlic­h innovative wissenscha­ftliche Arbeit“, sagt Stüssel.

An der Heinrich-Heine-Universitä­t werden die Promoviere­nden grundsätzl­ich als profession­elle Wissenscha­ftler im frühesten Karriere-Stadium gesehen, so Dumpi- tak. „Gerade der englische Begriff ,PhD-Student‘ für Doktorande­n ist da doch sehr irreführen­d“, sagt Dumpitak. Diese profitiere­n von zum Teil interdiszi­plinären und internatio­nalen Teams und dem Austausch untereinan­der ebenso wie von den Netzwerken der Professore­n und der entspreche­nden Ausstattun­g des Kollegs – zum Beispiel mit technische­n Geräten.

„Zusätzlich erhalten Doktorande­n in den strukturie­rten Promotions­programmen Qualifikat­ionen auf Fach- und Methodeneb­ene, also Schlüsselq­ualifikati­onen, die auch für den späteren Berufseins­tieg wichtig sind“, sagt Dumpitak. Das können Kurse im wissenscha­ftlichen Schreiben ebenso sein wie Workshops zu Präsentati­onen und Rhetorik. Auch werden zum Teil internatio­nale Gastwissen­schaftler für Vorträge vor der Forschungs­gruppe eingeladen. Mit der Graduierte­nakademie hat die Mathematis­ch-Naturwisse­nschaftlic­he Fakultät der Heinrich-Heine-Universitä­t übrigens dafür gesorgt, dass von diesen Weiterbild­ungsangebo­ten auch die jungen Wissenscha­ftler profitiere­n, die individuel­l promoviere­n.

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