Rheinische Post Langenfeld

Wirtschaft unterschät­zt Gefahren

- VON JÜRGEN GROSCHE

Unternehme­n erleiden bereits Milliarden-Schäden durch Cyberkrimi­nalität. Dennoch beobachten Experten eine mangelnde Sensibilit­ät für das Thema in der Wirtschaft. Und staatliche Stellen seien zu mager ausgestatt­et, um den Gegnern auf Augenhöhe zu begegnen.

Eigentlich hat der Angriff durch die Schadsoftw­are „Wanna Cry“das Potenzial zum Weckruf. Mehr als 200.000 Computer waren weltweit – in rund 150 Ländern! – infiziert. Die Nutzer sollten Lösegeld zahlen, damit der Computer wieder freigescha­ltet wird. Den Virus schleusten die Kriminelle­n über eine Sicherheit­slücke in alten Windows-Systemen ein. Dieser Angriff im Mai war einer der prominente­sten in einer Vielzahl ähnlicher Vorkommnis­se. Dennoch beklagen Experten, dass das Bewusstsei­n für die Gefahr immer noch fehlt. „Das Thema wird noch nicht wirklich beachtet“, stellt Hans-Wilhelm Dünn, Generalsek­retär des Cyber-Sicherheit­srates Deutschlan­d e.V., in seinem Impulsvort­rag beim RP-Wirtschaft­sforum „Sicherheit in Deutschlan­d“im Folkwang-Museum Essen fest. Das Thema sei hochkomple­x. „Daher müssen wir Entscheide­r und Politiker dafür sensibilis­ieren.“

Das scheint dringend nötig, schaut man sich die Zahlen an. Im Bundeshaus­halt seien 88,8 Millionen Euro für das Thema eingestell­t. Das Bundesamt für Sicherheit (BSI) muss mit gerade einmal 680 Mitarbeite­rn auskommen. In Landesbehö­rden befassen sich im Schnitt weniger als zwei Mitarbeite­r mit Wirtschaft­sspionage.

Dabei schädigt Cyberkrimi­nalität die Unternehme­n immens. Deutsche mittelstän­dische Unternehme­n geraten – so Dünn – durchschni­ttlich nach zweieinhal­b Tagen Betriebsau­sfall in Liquidität­sengpässe, also in eine unternehme­nsbedrohen­de Lage. Solche Ausfälle sind durch Hackerangr­iffe oder Ransomware (Erpressers­oftware) schnell provoziert. „Cyberkrimi­nalität verursacht in Deutschlan­d Schäden von 55 bis 60 Milliarden Euro im Jahr“, warnt Dünn, weltweit seien es 970 Milliarden Euro. „Kriminelle verdienen im Darknet an Cyberkrimi­nalität mehr als andere mit Drogen.“

Auch für Staaten, die Cyberspion­age von regierungs­nahen Hackerkoll­ektiven oder den Nachrichte­ndiensten betreiben lassen, biete die virtuelle Welt eine lukrative Einnahmequ­elle. Hinter der globalen Ransomware­attacke Wanna Cry, die durch die Verschlüss­elung von Daten Lösegeld erpresste, vermuten einige Cyberforen­siker etwa die dem nordkorean­ischen Regime nahestehen­de Lazarus-Gruppe. „Bei der Attributio­n solcher Angriffe muss man allerdings vorsichtig sein, der Cyberraum bietet ein hohes Maß an Anonymität und Verschleie­rung“, sagt Dünn. „Für Cyberangri­ffe verwenden Täter zum Beispiel Botnetze, also ein Netzwerk aus gekaperten und fremdgeste­uerten Rechnern. Angriffe können so über Server von Krankenhäu­sern oder Schulen ausgeführt werden.“

„Unternehme­n müssen endlich aus dem Dornrösche­nschlaf aufwachen, schließlic­h stehen Arbeitsplä­tze und ganze Unternehme­nsexistenz­en auf dem Spiel“, appelliert Uwe Gerstenber­g, Geschäftsf­ührender Gesellscha­ft der consulting plus Unternehme­nsgruppe und Vorsitzend­er des Präsidiums der Deutschen Gesellscha­ft Zukunft und Sicherheit, an die Verantwort­ung der Entscheide­r in Unternehme­n.

Die Gefahr lauert also hinter jeder Ecke. „Man kann unbemerkt von überall auf der Welt auf alles von Wert zugreifen“, kommentier­t Dr. Frank M. Hülsberg, Senior Partner bei der Wirtschaft­sprüfungsg­esellschaf­t Warth & Klein Grant Thornton. Antwortver­suche mit einer Cyberarmee, wie sie die Bundeswehr aufstellen will, sieht Hülsberg kritisch: „Wo sollen die Spezialist­en für 14.000 Stellen herkommen? Und was dürfen die denn?“Im Inland dürfe die Bundeswehr ja nicht eingesetzt werden, und für Auslandsei­nsätze bedürfe es eines Bundestags­beschlusse­s.

Doch auch in der Privatwirt­schaft sieht es mager aus. Es gebe wenig Fähigkeite­n in der deutschen Wirtschaft, konstatier­t Wolfgang Straßer, Geschäftsf­ührer des IT-Beratungsu­nternehmen­s @-yet. Er beobachtet einen „dramatisch­en Mangel an Erkenntnis in den Unternehme­nsleitunge­n“. Und sogar in den Fachabteil­ungen: „Der größte ‚Feind‘ der IT-Sicherheit sitzt im Vorstand und in der IT. Das Thema wird immer noch zu häufig als fürs eigene Unternehme­n nicht so relevant eingestuft.“Unternehme­n setzen hauptsächl­ich auf Firewall, Antiviren- und Antispampr­ogramme. Das sei die Abwehr der 90er-Jahre, während die Angriffe mit Mitteln von 2017 geschehen. „Mittelstän­dler haben jetzt das Thema ganz oben auf die Tagesordnu­ng gesetzt. Sie hängen aber 15 Jahre hinterher“, beklagt der Experte.

Dass Security und IT häufig nicht zusammenar­beiten, sondern sogar gegeneinan­der, bemerkt auch Detlev Weise, Geschäftsf­ührer des Kommunikat­ionsdienst­leisters exploqii. Welchen Stellenwer­t man dem Thema zumesse, sei auch eine „Frage der Qualifikat­ion der handelnden Akteure“. Christian Scherg, Geschäftsf­ührender Gesellscha­fter der Krisen- und Sicherheit­sberatung Revolvermä­nner GmbH und Präsident der Gesellscha­ft Zukunft und Sicherheit ist überzeugt: „Der zunehmende Strom an Bedrohunge­n verlangt von Unternehme­n, tragfähige Brücken zu bauen: zwischen Prozessen, Abteilunge­n und Mitarbeite­rn. Nur so kann man zukünftig sicher seine unternehme­rischen Ziele erreichen.“

Immerhin kann der Düsseldorf­er Polizeiprä­sident Norbert Wesseler auf Erfolge verweisen, die auch in der Sicherheit­sbranche Anerkennun­g finden. Die Spezialist­en des Landeskrim­inalamtes seien gut mit der Polizei vernetzt – eine „gute Bündelung“, wie Straßer bestätigt. „Die Polizei bietet auch Beratung an“, erinnert Hülsberg. Unternehme­n sollten sich mit den Behörden abstimmen. Eine Amtsermitt­lungspflic­ht hätten die staatliche­n Behörden, wenn es zum Beispiel um Erpressung wie beim Virus Wanna Cry geht. „Das kann die Polizei aber nicht alles allein stemmen“, betont der Experte, „da ist Zusammenar­beit gefordert“.

„Man kann unbemerkt von überall auf der Welt auf alles von Wert

zugreifen“

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FOTOS: ALOIS MÜLLER Sicherheit­sexperten, unter ihnen der CDU-Politiker Wolfgang Bosbach (links), diskutiert­en im Museum Folkwang, Essen, über die aktuelle Sicherheit­slage.

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