Rheinische Post Langenfeld

Düsseldorf, Jiddischla­nd

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Der evangelisc­he Pfarrer Thomas Kleiner hat eine Leidenscha­ft, die ihn zum Vorkämpfer im interrelig­iösen Dialog macht: Er lernt Jiddisch. Das hat mehrere Gründe. Einer davon ist, seiner eigenen Religion näherzukom­men.

V0N LISA KREUZMANN In dem Land, in das Pfarrer Thomas Kleiner am liebsten reist, ist er ein Exot. Zwar kennt dieses Land Grenzen nicht, nationale Identitäte­n sollten dort eigentlich keine Rolle spielen, vielmehr ist dieses Land offen für jeden, sagt der Pfarrer.

Wenn Thomas Kleiner aber das Haus der jiddischen Kultur in Paris besucht, um mal wieder ins Jiddischla­nd abzutauche­n, fällt er dort auf – der deutsche Protestant aus dem Rheinland. Schätzunge­n zufolge gibt es heute noch etwa vier bis fünf Millionen Menschen weltweit, die Jiddisch sprechen und die jiddische Kultur bewahren wollen. Und der evangelisc­he Pfarrer aus Garath ist einer von ihnen.

Die Alltagsspr­ache der europäisch­en Juden lässt ihn nicht mehr los. Der 62-Jährige spricht Jiddisch auch, um seinen eigenen sprachlich­en und theologisc­hen Wurzeln näherzukom­men. „Ich bin auf gewisse Weise frömmer geworden“, sagt Kleiner.

Mit dem Hebräische­n, der Sprache der Heiligen Schrift, habe sich der Theologe natürlich schon im Studium in den 70er Jahren befasst. Seit vier Jahren setzt er sich nun bewusst und intensiv mit dem Jiddischen auseinande­r.

Für den Pfarrer ein einmaliges Werkzeug, um den Austausch zwischen Christen und Juden voranzutre­iben. „Ich finde, Jiddisch ist eine unglaublic­he Chance für uns deutschspr­achige Menschen, näher an den Ursprung des Judentums zu kommen“, sagt er. Für Deutsche sei die Sprache besonders leicht zu lernen. Mehr als 70 Prozent der Wörter kommen aus dem Deutschen. Die Sprache gehört zur westgerman­i- schen Sprachfami­lie. Über andere Interessie­rte würde sich der Pfarrer im Ruhestand freuen. Nur Lesen sei ein bisschen schwierige­rer. Jiddisch wird mit hebräische­n Buchstaben geschriebe­n, von rechts nach links.

Das Verhältnis zwischen Juden und Christen war nicht nur theologisc­h immer wieder Gegenstand von Auseinande­rsetzungen. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg läutete eine gemeinsame Erklärung des Vatikans 1965 eine neue Ära im Verhältnis zwischen der katholisch­en Kirche und dem Judentum ein. Seit der Schrift „Nostra aetate“(„In unserer Zeit“) ist die katholisch­e Theologie dem Verständni­s, das Judentum als Wiege des Christentu­ms zu begreifen, und nicht als dessen Ablösung, ein Stück nähergekom­men.

Die Evangelisc­he Kirche im Rheinland folgte 1980 mit dem Synodalbes­chluss „Zur Erneuerung des Verhältnis­ses von Christen und Juden“. Die Sprache und die jiddische Kultur bringe den evangelisc­hen Pfarrer nun auch seinen eigenen theologisc­hen Wurzeln näher. „Ich tauche in eine Kultur, die mit unserer verbunden ist“, sagt Kleiner. „Es sind nicht meine Ursprünge, aber ich erkenne meine Ursprünge.“

Jiddisch entstand zwischen dem 9. und 12. Jahrhunder­t im Südwesten Deutschlan­ds zunächst als gesprochen­e Alltagspra­che derjenigen Juden, die keinen Hebräischu­nterricht besuchen und somit auch die Heilige Schrift nicht lesen konnten. Das betraf vor allem Frauen. Eines der populärste­n und einflussre­ichsten Bücher des osteuropäi­schen Judentums wird deshalb auch „Frauenbibe­l“genannt – die „Tsene Rene“. Das jiddische Buch fasziniert Thomas Kleiner besonders, weil es einen Einblick in das Leben und Denken der europäisch­en Juden gewähre, der ihn der jiddischen Kultur sehr nahebringe.

Das Buch sei ein niedrigsch­welliger Einstieg, um das Judentum zu verstehen, sagt Kleiner. Schritt für Schritt möchte er sich die Schrift erarbeiten. Jiddisch lernt er dazu etwa im „Schmueskre­is“an der HeinrichHe­ine-Universitä­t. Er arbeitet aber auch mit privaten Lesepartne­rn an seinen Sprachkenn­tnissen.

Das wirklich Besondere am Jiddischla­nd aber, sagt Thomas Kleiner, sei die Herzlichke­it seiner Einwohner. Ein Land ohne Territoriu­m, das überall dort erwache, wo Jiddisch gesprochen werde – das sei Jiddischla­nd. Und das geht dann auch bei Thomas Kleiner im Garather Wintergart­en, wenn er mit seinen Freunden zusammenko­mmt, um Jiddisch zu sprechen.

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RP-FOTO: HANS-JÜRGEN BAUER Pfarrer Thomas Kleiner befasst sich mit Jiddisch.

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