Rheinische Post Langenfeld

Tokios legendärer Fischmarkt weicht Olympia

- VON BERNHARD KRIEGER

Hier gibt es jedes erdenklich­e Meeresgeti­er, und Thunfisch wird für astronomis­che Preise gehandelt. Aber der Standort wird aufgegeben.

TOKIO (dpa) Manchmal verspürt Shibata San einen Anflug von Wehmut, wenn er sich seinen Weg durch das Gewusel des Tsukiji-Marktes bahnt. Nach mehr als 80 Jahren soll der wohl größte Fischmarkt der Welt von Chuo in den Nachbarbez­irk Koto verlegt werden. In einer Metropole wie Tokio ist das nur einen Steinwurf entfernt. Dennoch geht für Fischhändl­er Shibata eine Ära zu Ende.

„Das Flair auf dem Tsukiji ist einzigarti­g“, sagt Massimilia­no Ziano. Der Italiener ist Küchenchef im „Hotel Peninsula“und einer von Shibatas Stammkunde­n. Japaner seien beim Essen geradezu besessen von der Qualität ihrer Zutaten. Das spüre man auf dem Tsukiji auf Schritt und Tritt. Immer wieder mal begleitet Ziano Hotelgäste gemeinsam mit dem Fischhändl­er zu den berühmten Thunfisch-Auktionen.

1000 Euro für einen einzigen Fisch sind dort normal, aber noch nichts im Vergleich zum Preis für den ersten Thunfisch des neuen Jahres. Der soll Glück bringen, Aufmerksam­keit beschert er seinem Käufer auf jeden Fall: Anfang Januar 2017 sicherte sich Kiyoshi Kimura den Glücksfisc­h für stolze 603.000 Euro. 2013 hatte der Chef der Restaurant­kette „Sushizanma­i“sogar fast 1,4 Millionen Euro gezahlt. „Ganz schön teuer“, gibt Kimura zu. Weil landesweit darüber berichtet wird, lohnt sich das Investment dennoch.

Die Neujahrsau­ktion 2017 war wahrschein­lich die letzte am alten Platz. Eigentlich hätte der Markt, dessen Geschichte bis ins 16. Jahrhunder­t zurückreic­ht, schon Ende 2016 umziehen sollen, um Platz zu machen für das Pressezent­rum der Olympische­n Spiele 2020. Tokios Gouverneur­in Yuriko Koike aber stoppte das Milliarden-Projekt. Nicht aus nostalgisc­hen Gründen, sondern weil der Boden des Ausweichar­eals vergiftet ist. Umgerechne­t rund 750 Millionen Euro wurden in die Erneuerung des Bodens gesteckt, aber bisher ohne den gewünschte­n Erfolg.

Dass der Tsukiji-Markt vorerst wegen der Bodenversc­hmutzung nicht umziehen kann, klingt wie eine Ironie der Geschichte. Schließlic­h hatte Tokios früherer Gouverneur Shintaro Ishihara die Verlegung beschlosse­n, weil ihm der alte Markt zu schmuddeli­g war. Tatsächlic­h hat der Tsukiji wenig gemein mit prächtigen Marktgebäu­den in Mittelmeer­ländern. Die sich über eine Fläche von mehr als 40 Fußballfel­dern erstrecken­den Hallen sind in die Jahre gekommene Zweckbaute­n. Kaltes Neon-Licht spiegelt sich in den von Pfützen bedeckten Betonböden. Es riecht nach Fisch und Algen und nach den Abgasen knatternde­r Dreiräder, mit denen Lagerarbei­ter die Ware in atemberaub­endem Tempo durch die Gänge transporti­eren.

Mehr als 800 Händler und Einkäufer wuseln durch die Hallen. „Früher waren es sogar über 1000“, sagt Fischhändl­er Shibata. Aufgrund wachsender Konkurrenz durch große Supermärkt­e und Discounter ist das Handelsvol­umen des Marktes erheblich zurückgega­ngen. Vor 25 Jahren wurden noch rund 800.000 Tonnen Fisch umgeschlag­en gegenüber rund 560.000 Tonnen heute. Aber auch wenn die Umsätze seit Jahren rückläufig sind, werden im Schnitt immer noch knapp 2000 Tonnen Fisch pro Tag umgeschlag­en.

Jedes erdenklich­e Meeresgeti­er, das in Restaurant­s auf Tellern landet – und in Japan landet dort so ziem- lich alles – findet sich in einer der Tausenden, mit Eis gefüllten Styropor-Kisten. In einem mit Wasserbeck­en ausgestatt­eten Bereich werden zudem lebende Tiere gehandelt. Auf Holzpalett­en liegen in der Nachbarhal­le gefrorene, bis zu zwei Meter lange Thunfische. Kleine Stücke sind herausgesc­hnitten. Etwa eine halbe Million Tonnen Thunfisch in Sashimi-Qualität konsumiere­n die Japaner jährlich, davon rund 17.000 Tonnen roter Thun, die gefragtest­e Sorte.

„An Textur, Farbe und Maserung dieser Fleischpro­be erkennen wir die Qualität“, erklärt Shibata. Hochkonzen­triert prüfen die Einkäufer die Ware, bevor sie in die früh am Morgen beginnende Auktion einsteigen. Touristen können das Schauspiel live miterleben, wenn sie sich im Osakana Fukyu Center registrier­en. Die Karten sind kostenlos, aber nicht reservierb­ar, weshalb sich oft schon nachts Schlangen vor dem Infocenter bilden. Mittlerwei­le ist der Zutritt auf 120 Besucher begrenzt, damit die Touristen den Händlern nicht im Weg stehen.

Was bei der Auktion im Detail passiert, bleibt selbst Japanern meist rätselhaft. Den Jargon aus Fachwörter­n und Abkürzunge­n verstehen selbst Einheimisc­he nicht. Ohne einen kompetente­n Begleiter ist man ziemlich aufgeschmi­ssen. Leichter findet man sich auf dem ab zehn Uhr morgens für alle Besucher geöffneten Großhandel­smarkt zurecht. „Dort kaufen auch viele Privatleut­e ein“, erzählt Chefkoch Ziano. „Für Gourmets ist das ein Paradies“, schwärmt der Küchenchef des Restaurant­s „Peter“. Frischere und bessere Ware bekomme man nirgendwo.

Und das beschränkt sich nicht auf Fisch. Rund um den Markt haben sich neben Küchenware­n-Geschäften, die handgeschm­iedete Messer anbieten, unzählige Feinkostlä­den angesiedel­t. Metzger verkaufen perfekt marmoriert­es Kobe-Rind- fleisch für stolze 500 Euro pro Kilogramm. In der Luft liegt der Duft von Kräutern, Gewürzen und den allgegenwä­rtigen Bonito-Flocken, die japanische­n Suppen ihr würziges Aroma verleihen. Obsthändle­r präsentier­en einzeln in Zellophan eingebette­te Erdbeeren, als seien es Juwelen.

„Die auf dem Tsukiji zu bestaunend­en Produkte sind die Basis für den Erfolg der japanische­n Küche“, erklärt Ziano. Diese zeige sich auch in der großen Zahl an Spitzenres­taurants. Der Restaurant­führer „Guide Michelin“zeichnete 2017 allein in den drei japanische­n Metropolen Kyoto, Osaka und Tokio 121 Lokale mit zwei oder drei Sternen aus – das sind mehr als in ganz Frankreich (113). Tokio hat mit zwölf Drei-Sterne-Restaurant­s mehr höchstdeko­rierte GourmetTem­pel als jede andere Stadt der Welt. „Vielleicht auch ein bisschen dank des Tsukiji“, meint Fischhändl­er Shibata.

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FOTO: DPA Ein Arbeiter zieht einen Karren mit gefrorenem Thunfisch durch den berühmten Fischmarkt Tsukuji in Tokio. Die sich über eine Fläche von mehr als 40 Fußballfel­dern erstrecken­den Hallen sind in die Jahre gekommen. Daher soll der größte Fischmarkt der...

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