Rheinische Post Langenfeld

Die mächtigste Frau der EU

- VON MARKUS GRABITZ

Sie lehrt die Bosse der größten Konzerne das Fürchten: Wettbewerb­skommissar­in Margrethe Vestager hat sich Respekt verschafft.

BRÜSSEL Margrethe Vestager holt ihre Besucher selbst ab. Die Tür zu ihrem Büro geht auf, die dänische EU-Kommissari­n für Wettbewerb­sfragen bittet persönlich herein. Das macht sie mit allen, die einen Termin bei ihr haben. Ihr Arbeitszim­mer im zehnten Stock des typisch funktional­en EU-Gebäudes könnte aus einer Zeitschrif­t für Innenarchi­tektur stammen. Bunte Farben dominieren. Ganz hinten steht ein durchaus überschaub­arer Schreibtis­ch mit Blick aus dem Fenster auf das sich an das Europaquar­tier anschließe­nde Viertel Matonge, das wegen der vielen hier lebenden Afrikaner nach einem Vorort von Kinshasa benannt ist. An den Wänden und auf einer Staffelei Bilder. Auf einem langen Sideboard stehen gerahmte Fotos, keine Schnappsch­üsse von Stationen ihrer Karriere, sondern Privatfoto­s, ihr Mann, ihre drei Töchter, ihre Freunde.

Die 49-jährige Politikeri­n trägt ihr grau meliertes Haar als Kurzhaarfr­isur, lackiert gelegentli­ch ihre Fingernäge­l knallrot, bevorzugt eine ausgefalle­ne Garderobe. Sie ist ein Star in der Europapoli­tik. Aus der Hierarchie der EU-Bürokratie ist das nicht abzuleiten. Sie ist nicht einmal einer von den insgesamt sieben Stellvertr­etern von Kommission­spräsident Jean-Claude Juncker. Und dennoch: Sie spielt in einer anderen Liga als die anderen im Kollegium der Kommissare. Zum einen hängt dies mit ihrer Funktion als Wettbewerb­skommissar­in zusammen. Vestager ist die Hüterin darüber, dass es im Binnenmark­t der 500 Millionen Verbrauche­r fair zugeht. Damit wacht sie über das vielleicht wichtigste Pfund der EU.

Manchmal verlangt das Amt, dass Vestager sich mit den Chefs der mächtigste­n Konzerne anlegen muss. Wenn etwa die großen Spieler am Markt Kartelle bilden und die Verbrauche­r unter die Räder kommen. So verhängte sie eine Rekordstra­fe gegen ein Lastwagenk­artell, an dem auch der deutsche DaimlerKon­zern beteiligt war. Richtig berühmt wurde sie aber, weil sie auch die Giganten des Internetze­italters angreift, den Netz-Plattforme­n den Missbrauch ihrer Marktmacht nachweist und sie zu Rekordstra­fen verdonnert. Erst kürzlich fiel die Entscheidu­ng im Fall Google. Der US-Konzern soll eine Strafe von mehr als 2,2 Milliarden Euro zahlen, weil er seine marktbeher­rschende Stellung bei der Produktsuc­he gnadenlos ausnutzte, um Wettbewerb­er fern zu halten.

Aber Vestager wird auch tätig, wenn EU-Staaten mit Konzernen kungeln, ihnen milliarden­schwere Steuerpriv­ilegien zuschanzen, weil sie im Gegenzug auf die Ansiedelun­g von Jobs hoffen. Weil Vestagers Beamten der irischen Regierung diese unerlaubte­n Staatsbeih­ilfen nachweisen konnten, muss mit Apple nun ein anderer amerikanis­cher Hightech-Konzern 13 Milliarden Euro Steuern nachzahlen.

Der Dänin, die seit 20 Jahren in der Politik ist, fällt damit als oberste Wettbewerb­shüterin in der EU eine Machtfülle zu, über die die Nationalst­aaten nicht verfügen. Doch man muss diese Macht auch zu nutzen wissen. Ihr Vorgänger, der Spanier Joaquin Almunia, griff die Marktsünde­r auch an, ließ sich dann aber häufig auf einen Kuhhandel mit den Unternehme­n ein. Auch Neelie Kroes, die Niederländ­erin, machte keine sehr gute Figur. Ihr fehlte es auch am juristisch­en Sachversta­nd, ist zu hören. Vestager aber hat sich schnell den Ruf gemacht, ein „tough cookie“zu sein, wie der Economist schrieb, was so viel be- deutet wie „harter Hund“. So scheute sie auch nicht davor zurück, gegen die Steuerdeal­s von Luxemburg mit Ikea, Fiat und anderen Großkonzer­nen vorzugehen. Und dies, obwohl die Steuerabsp­rachen im Großherzog­tum in der Regierungs­zeit ihres jetzigen Chefs Juncker getroffen wurden. Inzwischen hat Juncker freilich die Seiten gewechselt. Als Kommission­schef hat er begonnen, gegen die Steuerverm­eidungspra­ktiken von Konzernen vorzugehen.

Vestagers Erfolg ist aber auch damit zu erklären, dass sie einen besonderen Stil pflegt. Sie ist menschlich offen, gibt im Gespräch auch Privates preis. So erzählte sie im vergangene­n Sommer, dass sie mit Freunden für den 50. Geburtstag ihres Mannes ein Häuschen in Italien gemietet habe und dass eine ihrer drei Töchter gerade zum Deutschler­nen in Berlin gewesen sei. Eine junge Mitarbeite­rin, die vorher als Anwältin in London mehr Geld verdient hatte und wegen ihrer Freunde eigentlich viel lieber in Berlin leben würde, bekennt, dass sie nur wegen Vestagers angenehmen Führungsst­ils weitere in Brüssel bleibe.

Die Offenheit der Politikeri­n ist Programm, und dazu kommt eine gewisse Bescheiden­heit. Wie es sich für eine Kopenhagen­erin gehört, ist sie stets mit dem Fahrrad zu ihren Vereidigun­gen als Ministerin gefahren. „Als ich jung war“, sagte sie in einem Interview, „dachte ich, dass man Politik mit Ideen macht.“Heute wisse sie, dass es ohne die Menschen nicht gehe.

Bevor sie in Brüssel ein Star wurde, war Vestager schon eine große Nummer in der dänischen Politik.

Margrethe Vestager Sie war unter 30, als sie das erste Mal Ministerin und damit die jüngste dänische Ressortche­fin aller Zeiten wurde. Sie, die in einem Pfarrerhau­s aufwuchs, wurde zunächst Religionsm­inisterin. Zuletzt bekleidete Vestager den Posten der Wirtschaft­sministeri­n und stellvertr­etenden Regierungs­chefin. In Dänemark hatte sie damit alles erreicht, was möglich war. Ihre soziallibe­rale Partei, „Det Radikale Venstre“, ist klein und kann allenfalls den Koalitions­partner für eine größere Partei stellen. Damit war klar, dass Vestager so gut wie keine Chancen hatte, in Kopenhagen irgendwann auch Regierungs­chefin zu werden.

In Dänemark hatte Vestager manche Anhänger ihrer Partei noch mit den harschen Forderunge­n schockiert, das Arbeitslos­engeld zu kürzen und das Renteneint­rittsalter heraufzuse­tzen. Auf EU-Parkett schlägt Vestager dagegen eher andere Töne an; sie versteht ihren Job durchaus auch sozialpoli­tisch. So geht sie etwa gegen die marktbe- herrschend­e Stellung von Telekommun­ikationsun­ternehmen vor und begründet dies so: „Wenn ein Smartphone-Vertrag so teuer ist, dass sich Teile der Gesellscha­ft ihn nicht leisten können, werden Menschen von Teilhabe ausgeschlo­ssen.“In vielen Gegenden Europas erfahre man nur noch über soziale Medien, wann und wo das Training der lokalen Jugendmann­schaft im Fußball stattfinde. „Da ist ein Internet-Zugang lebenswich­tig.“

Für Vestager spiegelt das Wettbewerb­srecht die grundlegen­den Werte der EU. Wenn Brüssel darauf poche, dass die Spielregel­n des Wettbewerb­s eingehalte­n werden, zeige die EU sehr konkret, dass in Europa alle die gleichen Rechte geltend machen könnten – große und kleine Mitspieler. Legendär ist, wie Vestager kurz nach ihrem Amtsantrit­t in Brüssel den Google-Chef abblitzen ließ, als der um einen Termin bat. Sie ließ wissen, sie müsse sich erst in das bereits unter ihrem Vorgänger eingeleite­te Verfahren gegen Google einarbeite­n. Unterhalb der Ebene von Unternehme­nschefs trifft sie grundsätzl­ich keine Interessen­vertreter. „Treffen mit Lobbyisten bringen mir nichts“, sagt sie. Klare Ansagen wie diese kommen gut an.

Vestager hat ein Mandat als Wettbewerb­skommissar­in bis 2019. Immer wieder wird sie in Brüssel als Kandidatin für höhere Jobs gehandelt. Vermutlich wäre sie auch eine gute Präsidenti­n der EU-Kommission. Passt dazu nicht auch, dass Jean-Claude Juncker angekündig­t hat, nicht noch einmal anzutreten? Vestager selbst schweigt dazu. Klar ist aber: Diese Spekulatio­nen entbehren einer Grundlage. Vestagers Partei wurde 2014 in Dänemark abgewählt. Sie kann in ihrem EU-Job noch so gut und noch so populär sein, sie hat nur dann eine Chance, der Europapoli­tik erhalten zu bleiben, wenn ihre Partei daheim wieder an die Macht kommt. Und danach sieht es derzeit nicht aus.

„Als ich jung war, dachte ich, dass man Politik mit Ideenmacht.Heuteweiß ich, dass es ohne die Menschen nicht geht“

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