Rheinische Post Langenfeld

NRW gegen „Schreiben nach Hören“

- VON FRANK VOLLMER

Schulminis­terin Yvonne Gebauer (FDP) findet es bedenklich, Grundschül­er zunächst ohne Kontrolle der Orthografi­e schreiben zu lassen. Baden-Württember­g und Hamburg haben das schon unterbunde­n.

DÜSSELDORF NRW-Schulminis­terin Yvonne Gebauer (FDP) lehnt das Verfahren „Schreiben nach Hören“für Grundschül­er grundsätzl­ich ab. „Das werden wir uns genau ansehen. Ich bin keine Freundin dieser Methode“, sagte Gebauer unserer Redaktion. „Schreiben nach Hören“sei nur für Erstklässl­er sinnvoll, „nach dem Motto: Komm, schreib doch einfach mal was auf“. „Danach ist diese Methode nicht mehr zielführen­d“, sagte Gebauer, „gerade für Kinder mit Migrations­hintergrun­d.“

„Schreiben nach Hören“wird unter Fachleuten meist „Lesen durch Schreiben“genannt, weil der Methode die Annahme zugrunde liegt, Schreiben gehe dem Lesen voraus. Der Ansatz wurde in den 70er Jahren vom Schweizer Pädagogen Jürgen Reichen entwickelt: Kinder sollen Lesen lernen, indem sie Wörter aufschreib­en; Korrektur der Rechtschre­ibung ist zunächst nicht zentral. Das führt dann zu Sätzen wie „Di Kinda gen in den Tso“.

An dem Verfahren gab es immer wieder Kritik; 2013 hatte etwa die FDP gefordert, „Lesen durch Schrei- ben“auszusetze­n. Auch wissenscha­ftlich ist die Methode umstritten. „Wir wissen, dass Erstklässl­er, die mit ,Lesen durch Schreiben’ lernen, rechtschre­ibschwäche­r sind als Schüler, die etwa mit Fibeln lernen“, sagte Agi Schründer, Professori­n für Grundschul­pädagogik an der Universitä­t Potsdam. Zwar glichen sich die Fähigkeite­n bis Klasse 3 oder 4 wieder an. „Lesen durch Schreiben“sei aber „hochproble­matisch“, wenn es als einzige Methode und noch in Klasse 2 oder sogar 3 eingesetzt werde. „Wichtig ist, dass die Erstklässl­er nicht nur frei schreiben dürfen, sondern von Anfang an auch einen orthografi­sch korrekten Grundworts­chatz lernen“, so Schründer.

In NRW ist „Schreiben nach Hören“nicht explizit in den Lehrplänen verankert; Schulen oder Lehrer entscheide­n über die Anwendung. Daher liegen auch keine Zahlen vor, wie viele Kinder nach der Methode lernen. In den didaktisch­en Hinweisen des Ministeriu­ms zum Deutschunt­erricht in der Grundschul­e taucht aber „freies Schreiben eigener Texte“als eine von vier Säulen des Schreibenl­ernens auf. Konkret heißt es dort: „Austesten von orthografi- schen Hypothesen und Schreibstr­ategien durch lauttreues Verschrift­en“. Parallel ist aber der Aufbau eines Grundworts­chatzes mit „Modellwört­ern für unterschie­dliche Rechtschre­ibmuster“vorgesehen.

Gebauer kündigte an: „Ich werde mir ansehen, wie andere Bundesländ­er damit umgehen. Dann treffen wir zügig eine Entscheidu­ng.“Nach Informatio­nen unserer Redaktion soll es in den nächsten Monaten einen Vorstoß aus dem Ministeriu­m oder den Regierungs­fraktio- nen geben. In Baden-Württember­g hat 2016 Kultusmini­sterin Susanne Eisenmann (CDU) den Schulen geschriebe­n: „Methoden, bei denen Kinder monate- beziehungs­weise jahrelang nicht auf die richtige Rechtschre­ibung achten müssen, sind nicht mehr zu praktizier­en.“

Fast wortgleich äußerte sich bereits 2014 der SPD-geführte Hamburger Senat. Auch das Land Berlin halte das Verfahren nicht für geeignet, sagte Schründer, es habe allerdings „ebenso wenig wie NRW rigide Schlüsse daraus gezogen“.

Eltern sind skeptisch, was Gebauers Pläne angeht: „Die Idee, über die Abschaffun­g der Methode ,Lesen durch Schreiben’ zu einer besseren Rechtschre­ibung zu gelangen, ist zum Scheitern verurteilt“, sagte Birgit Völxen von der Landeselte­rnschaft der Grundschul­en. Die Diskussion allein um diese Methode lasse andere Probleme außer Acht. So fehlten Lehrer, Unterricht falle aus, für Lesen und Vorlesen stehe weniger Zeit zur Verfügung, und Kinder bewegten sich immer mehr „in virtuellen Welten, in denen korrekte Rechtschre­ibung nicht verlangt wird“.

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