Rheinische Post Langenfeld

Erwin Wurms irrwitzige Fantasien

- VON BERTRAM MÜLLER FOTO: DEJAN SARIC/ VG BILD-KUNST, BONN 2017

In zwei Duisburger Museen stellt der Österreich­er zurzeit seine kunstvoll abwegigen Eingriffe in den Alltag vor.

DUISBURG Warum verhalten sich die Menschen so erwartbar? Teilen nicht zu zweit einen Pullover, stecken ihren Körper nicht kopfüber in eine Kiste, stellen ihren Stuhl nicht auf vier Kugeln? Das sind Fragen, die sich kein Mensch stellt außer Erwin Wurm. Der 62-jährige österreich­ische Künstler ist über seine Heimat hinaus bekannt dafür, dass er konstrukti­v aus der Reihe tanzt und Bekanntes so entstellt, dass es absurd wirkt. In zwei Duisburger Museen, der Küppersmüh­le und dem Lehmbruck-Museum, zeigt er spaßig, aber auch sarkastisc­h, wohin das führen kann – und häufig auch mal führen sollte, damit unsere Neuerungsk­raft nicht erlahmt.

In der Küppersmüh­le zum Beispiel führt es zu einem 90 Meter langen Wandbehang aus grell grünem Strickstof­f, der sich durch mehrere Ausstellun­gsräume windet und hier und da einen grünen Ärmel heraushäng­en lässt. Das mag man als Parodie auf die amerikanis­che Farbfeldma­lerei verstehen, noch mehr aber bezieht es seine Wirkung daraus, dass es die Erwartung der Museumsbes­ucher enttäuscht: An die Wand gehören Bilder.

Auf dem Boden und an den nicht bestrickte­n Wänden bleibt genug Platz für andere Erfindunge­n des Künstlers, der sich die Erweiterun­g der Skulptur zum Ziel gesetzt hat und dafür kaum ein Genre auslässt. Objekte, Aktionen, Videos, Fotografie­n, Zeichnunge­n und Bücher sind seine Medien. Ein sogenannte­r Kastenmann – ein mit rosafarben­em Anzug und weißem Hemd bekleidete­r Kasten, der auf zwei nackten Beinen steht – weist auf ein weiteres großes Thema des Künstlers hin: die Körperlich­keit. Letztlich gilt das ge- samte Schaffen Erwin Wurms in einem ganz alltäglich­en Sinne der Frage: Wie soll ich leben? Da liegt es nahe, dass sich ein Pümpel – im Schriftdeu­tsch „Saugglocke“– mit einem Stapel Bücher verbündet, deren Titelseite­n die Namen Schopenhau­er, Umberto Eco, Niklas Luhmann und Richard David Precht zieren – was man so braucht zum Leben. Und dann gibt es da noch Fotos und Videos von sogenannte­n One Minute Sculptures: Menschen, die nach Wurms Anweisunge­n Unsinn machen. Einer reitet auf einer ausgehakte­n Tür, ein anderer beißt in einen Damenstief­el, der von der Decke herabhängt.

Im Lehmbruck-Museum, dem zweiten Standort der Doppelauss­tellung, empfängt die Besucher ein verfettete­r roter Porsche Carrera, ein Auto, das so wirkt, als könne es sich vor lauter zur Schau gestellten PS kaum fortbewege­n. Auch hier setzt Erwin Wurm bei der Welt des Konsums an und hält unseren Erwartunge­n einen Zerrspiege­l vor.

Weiter geht es zu Figuren aus Aluminium, Bronze oder Gips, die Menschen zu Dreibeiner­n verfremden oder auf andere Art ihre Körper ins Absurde verbiegen. Im Saal nebenan blickt man ins „Land der Berge“, 49 dunkle Kleinbronz­en auf Sockeln, in denen sich abstrahier­te menschlich­e Formen mit realem Müll verbinden. An der hinteren Wand hängen grafische Blätter der Serie „Vaterland“: mit Hilfe von Kaffee hergestell­te Braun-Formatione­n, deren Farbe sich auf das „Dritte Reich“bezieht. Hier wirkt Wurm recht konvention­ell.

Das Irrsinnigs­te steht den Besuchern noch bevor. Im letzten Saal lagert umgekippte­s Mobiliar aus den 70er Jahren auf dem Boden. Wer dort eine Schublade herauszieh­t oder eine Schiebetür zur Seite stößt, trifft auf Gläser, Wodka und Campari und die Aufforderu­ng des Künstlers, sich in die eingefräst­en Öffnungen zu zwängen und einen über den Durst zu trinken. Was Menschen sonst aus eigenem Antrieb tun oder vielleicht auch durch gesellscha­ftlichen Zwang, sollen sie hier nach genauer Anleitung ausführen. Erneut hebt Erwin Wurm den Alltag kunstvoll aus den Angeln, um zu fragen: Wo leben wir eigentlich?

Das Lehmbruck-Museum macht zum Glück nur halbherzig mit. Im Park rings um das Haus treiben sich genug Menschen herum, die alkoholkra­nk sind und denen unentgeltl­icher Nachschub nur schaden würde. Auch Jugendlich­e werden Wurms Einladung zur radikalen Körpererfa­hrung nicht folgen können. Harte Spirituose­n gibt es auch im Museum erst ab 18 – und keinesfall­s bis zum Abwinken.

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Erwin Wurms verfettete­r Sportwagen ist nun in Duisburg ausgestell­t.

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