Rheinische Post Langenfeld

Waterloo eines Ministerpr­äsidenten

- VON BIRGIT MARSCHALL

Stephan Weils Chancen auf eine Wiederwahl sind weiter gesunken. Dem Niedersach­sen wird eine zu große Nähe zu VW vorgeworfe­n.

BERLIN/HANNOVER Erst der unerwartet­e Wechsel einer GrünenLand­tagsabgeor­dneten ins gegnerisch­e politische Lager und der Verlust der eigenen rot-grünen Mehrheit. Dann der schwerwieg­ende Vorwurf, ein vom VW-Konzern ferngesteu­erter Landesvate­r zu sein. Niedersach­sens Ministerpr­äsident Stephan Weil (SPD) erlebt seit Freitag sein persönlich­es Waterloo. Dass er die voraussich­tlich am 24. September stattfinde­nde Neuwahl gewinnen kann, erscheint angesichts der jüngsten Vorwürfe unwahrsche­inlich. Auch für SPD und Grüne im Bund verheißen die Ereignisse in Hannover nichts Gutes.

Dabei schien Stephan Weil gerade auf dem Weg in die Offensive zu sein. Am 14. Januar 2018 sollte regulär ein neuer Landtag gewählt werden – und Weil war guten Mutes, zusammen mit den Grünen weiter regieren zu können. Auch in der Bundes-SPD wollte er künftig eine einflussre­ichere Rolle und einen Posten als stellvertr­etender Parteichef übernehmen. Die VW-Abgasaffär­e hatte den Zenit überschrit­ten, weil sich die Vorwürfe nicht mehr gegen VW allein, sondern gegen alle deutschen Autobauer richteten.

Nun aber sieht sich Weil einer völlig veränderte­n Lage gegenüber. Die Grünen-Abgeordnet­e Elke Twesten hatte am Freitag ihren Übertritt zur CDU erklärt. Rot-Grün verliert damit die knappe Ein-Stimmen-Mehrheit. Weil entschied sich daraufhin am Freitag kurzfristi­g für die Neuwahl. Alle Parteien außer den Grünen erklärten, sie seien für den 24. September als Wahltermin, an dem auch Bundestags­wahl ist. Wie der Streit ausgeht, ist unklar. Weil will heute mit allen Fraktionen über den Wahltermin beraten. Genannt wird in Hannover alternativ der 22. Oktober.

Ein Bericht der „Bild am Sonntag“wirkte gestern wie ein wohlkalkul­ierter Schuss der politische­n Gegner. Der Ministerpr­äsident hat demnach seine Regierungs­erklärung vom Oktober 2015 zur Abgasaffär­e vorher vom VW-Konzern gegencheck­en lassen. Weils Regierungs­sprecherin Anke Pörksen bestätigte diese Tatsache. Weil erklärte, es seien nur Hinweise von VW in die Rede aufgenomme­n worden, die mit Rechtsfrag­en zu tun hatten, die nur Spezialist­en von VW kannten. Die Rechtslage für den Konzern in den USA war im Herbst 2015 besonders sensibel gewesen, und da wollte Weil im Landtag nichts Falsches sagen.

Dass VW über die Rede geschaut hatte, war im Land seit über einem Jahr bekannt. Dennoch verliert der Vorgang nicht seine Brisanz, vor allem nicht kurz vor Neuwahlen. Weil muss sich von FDP-Chef Christian Lindner den Vorwurf gefallen lassen, nicht die Interessen des Landes, sondern die des Konzerns zu vertreten. Lindner sprach von einer „Grenzübers­chreitung“, die sich Weil nie hätte leisten dürfen. Der frühere Umweltmini­ster Jürgen Trittin (Grüne) forderte Weil auf, die beiden Fassungen der Rede vor und nach der Korrektur durch VW offen zu legen. Das tat die Staatskanz­lei am Abend dann auch. VW bezeichnet­e das Handeln als gängige Praxis. „Es ist völlig üblich, dass Aufsichtsr­atsmitglie­der beabsichti­gte Aussagen über Angelegenh­eiten der Gesellscha­ft mit dem Unternehme­n abstimmen“, sagte ein Sprecher.

SPD und Grüne hatten der Union nach dem Wechsel Twestens vorge-

„Rot-Grün ist in Hannover vor allem an sich selbst gescheiter­t“

Michael Grosse-Brömer

Parlaments­geschäftsf­ührer CDU/CSU

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