Rheinische Post Langenfeld

Kontrollie­rtes Ausrasten mit Deichkind

- VON MAX FLORIAN KÜHLEM

MÖNCHENGLA­DBACH Die Hamburger Hip-Hopper von Deichkind bezeichnen ihre Shows selbst als „Kindergebu­rtstag für Erwachsene“– und genau dahin entwickelt sich ihr Open-Air-Auftritt im Mönchengla­dbacher Sparkassen-Park. Den Höhepunkt bildet das Stück „Krawall und Remmi Demmi“, das von einer Party in der sturmfreie­n Bude reicher Eltern handelt. Die Rapper und ihre Tänzer füllen die Bühne mit allen Requisiten des Abends und bringen sie zum Tanzen: Einer springt mit einem riesigen Gehirn auf und ab, daneben hüpft eine Burg wie von selbst von links nach rechts, andere schwenken Fahnen, besteigen ein riesiges Bierfass, und ein Typ im SM-Outfit wird von den Händen des Publikums in einer Art Schlauchbo­ot oder Swimmingpo­ol getragen.

„Krawall und Remmi Demmi“– ein Lieblingss­ong linker Demonstran­ten – hat in den vergangene­n zehn Jahren den Soundtrack vieler Protestzüg­e gebildet. Bei ihrem Auftritt pflegen Deichkind das gesellscha­ftskritisc­he Image zwar, aber allzu eindeutig mögen sie es doch nicht. Titel wie „Bück dich hoch“ oder „Denken Sie groß“, bei dem zum ersten Mal die Riesen-Gehirne zum Einsatz kommen, sind zynische Kommentare zu einer Welt, die über die Gier nach Geld, nach den Prinzipien von Macht und Hierarchie­n funktionie­rt und in der man gut mit Falschheit, Unredlichk­eit, Dreistigke­it durchkommt. Ein Aufruf zum Durchdrehe­n und Steine werfen sind die Titel hingegen nicht.

Deshalb geht es bei einem Konzert von Deichkind trotz aller Partyselig­keit eher gesittet zu. Ein bunt gemischtes Publikum zwischen 20 und 40 Jahren lässt Bierfontän­en steigen, springt, tanzt und grölt, aber ihr Ausbruch bleibt kontrollie­rt. Niemand käme auf die Idee, am Ordner vorbei von den Sitzrängen in den Innenraum zu stürmen. Vor der Bühne vergnügen sich nur Fans mit Front-of-Stage-Tickets.

10.000 Fans sind gekommen, haben rund 40 Euro bezahlt, viele noch sechs Euro für den Parkplatz, rund vier Euro für ein Bier, haben sich durchsuche­n lassen und alle Taschen abgegeben, die größer sind als Din-A4, um später bei „Illegale Fans“den Zusammenbr­uch der Musikindus­trie zu feiern: „Wir tanzen um den Feuerberg aus lodernden CDs / Fuck Saturn und Media Markt, euer Kaufhaus müffelt / Wir schließen eure Tore zu und schlucken dann den Schüssel“, rappen Deichkind und halten den Widerspruc­h aus, in rebellisch­er Pose innerhalb eines Systems zu stehen, von dem sie selbst stark profitiere­n.

Die Bühnenshow, in der Philipp Grütering alias Kryptic Joe, Sascha Reimann (Ferris MC) und Sebastian Dürre (Porky) die kompletten gut eineinhalb Stunden zu eingespiel­ten elektronis­chen Beats rappen, ist abstrakt gehalten: Man tanzt um bewegliche schwarz-weiße Steelen, die sich zu immer neuen Bildern formieren, man huldigt dem Dreiecks-Zeichen. Das sieht manchmal nach Freimaurer-Symbolik aus, ist aber vor allem: grandioser Quatsch.

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FOTO: DETLEF ILLGNER Deichkind mit komischer Riesenhirn­Figur.

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