Rheinische Post Langenfeld

Regierungs­bildung nach der Wahl könnte sich verzögern

- VON JAN DREBES UND GREGOR MAYNTZ

Die SPD will die Niedersach­sen-Wahl abwarten, bevor sie im Bund Sondierung­en führt. Die anderen Parteien wollen da nicht mitspielen.

BERLIN Der Wahlkampf wird mit der Bundestags­wahl am 24. September für die Parteien noch nicht zu Ende sein. Drei Wochen später, am 15. Oktober, gilt es noch die Landtagswa­hl in Niedersach­sen für sich zu entscheide­n. Jetzt hat die SPD angekündig­t, in dieser Zeit keine Sondierung­sgespräche führen zu wollen. Die Zusammense­tzung einer neuen Bundesregi­erung wäre damit unmöglich – zumindest, wenn die SPD beteiligt werden soll.

Der Fraktionsc­hef der Sozialdemo­kraten im Bundestag, Thomas Oppermann, hatte diese Strategie am Rande seiner Sommerreis­e im

Meist ist davon ja in diesem ungläubig-tadelnden Ton die Rede: Viele Deutsche haben Angst vor der Zukunft. Selbst wenn sie einen sicheren Job und ein eigenes Haus haben und sich aufregende Urlaube leisten können, empfinden sie doch, dass das alles auf tönernem Grund stehen könnte und machen sich Sorgen über die Zukunft ihrer Kinder.

Man kann das als „German Angst“abtun, als die Übervorsic­ht der Besitzende­n, die gerade darum skeptisch in die Zukunft blicken, weil sie etwas zu verlieren haben. Zur Untermauer­ung dieser These werden dann gern Glücksstud­ien zitiert, in denen regelmäßig arme Menschen aus Entwicklun­gsländern besonders glücklich abschneide­n.

Das Unbehagen, das viele Deutsche empfinden, ist jedoch nur scheinbar ein individuel­les Problem. Deutschlan­d ist kein Land irrational­er Pessimiste­n. Vielmehr Harz bekanntgeg­eben. Der Grund ist denkbar einfach: Man will den Ausgang der für die SPD sehr wichtigen Landtagswa­hl nicht durch eine Koalitions­entscheidu­ng im Bund beeinfluss­en. Noch-Ministerpr­äsident Stephan Weil muss kämpfen, derzeit liegt er in den Umfragen mit 32 Prozent für die SPD hinter Herausford­erer Bernd Althusmann, dessen CDU auf 40 Prozent kommt.

Oppermann, auch außerhalb der Politik ein enger Freund von Weil, hatte erklärt, es werde „keine Koalitions­verhandlun­gen oder Sondierung­en geben.“Bis zum 15. Oktober werden die Sozialdemo­kraten „den Wahlkampf ohne Unterbrech­ung fortsetzen“, so Oppermann.

Doch wie wahrschein­lich ist es, dass diese Strategie aufgeht? Wer sich bei den anderen Parteien – und möglichen Koalitions­partnern der SPD – umhört, stößt auf wenig Verständni­s für den Kurs der Sozialdemo­kraten. Michael Grosse-Brömer, Parlamenta­rischer Geschäftsf­ührer der Unionsfrak­tion im Bundestag und zudem niedersäch­sischer CDU-Abgeordnet­er, will da nicht mitziehen: „Auch diese Ankündigun­g der SPD zeigt einmal mehr das Motto der Sozialdemo­kraten: Erst kommen die Parteiinte­ressen, dann die Interessen der Menschen und des Landes“, ätzte er. Die Union werde in aller Ruhe die Entscheidu­ng der Wähler am 24. September gibt es immer mehr kritische Themen, die hinter Schlagwort­en wie Klimawande­l, Finanzspek­ulation, künstliche Intelligen­z verschwind­en und deren Auswirkung­en schwer zu kalkuliere­n sind. Darüber mögen sich Menschen, die täglich um ihr Überleben kämpfen, weniger Gedanken machen können, aber es ist keineswegs hysterisch, wenn man auf die schwer absehbaren Nebenwirku­ngen der Moderne mit diffusem Unbehagen reagiert.

Es gibt eben kein Sensorium für globale Risiken. Der gesunde Menschenve­rstand hilft beim Nachdenken über Risiken der Reprodukti­onsmedizin oder des Klimawande­ls nicht weiter. Wenn Menschen sich also hinter Skepsis verschanze­n, sind sie nicht irrational, sie reagieren nachvollzi­ehbar auf Gefahren, deren Ausmaß sie nicht kennen.

Fortschrit­t ist längst eine globale Dynamik und so haben auch die Nebenwirku­ngen dieses Fortschrit­ts abwarten und dann auf Bundeseben­e die erforderli­chen Schritte tun. „Den Wählerinne­n und Wählern ist nach unserer Auffassung kaum zu vermitteln, wenn in Berlin in der Zeit des niedersäch­sischen Wahlkampfs nicht gearbeitet wird“, sagte Grosse-Brömer.

Würden die Wahlergebn­isse also letztlich nur eine Neuauflage der großen Koalition ermögliche­n, wäre Stillstand unausweich­lich – die Zusammense­tzung der Regierung aber geklärt. Wahrschein­licher ist, dass auch andere Konstellat­ionen in Betracht kommen. Reicht es etwa für Schwarz-Gelb, da ist man sich in fast allen Parteien einig, wird es wohl wieder eine Regierung von globale Dimensione­n. So kommt es, dass Menschen bei immer mehr brisanten Themen das Gefühl haben, die Konsequenz­en nicht zu überblicke­n. Und die Experten und Politiker in Wahrheit auch nicht. Dann geschieht eine Reaktorkat­astrophe wie in Fukushima, die deutsche Politik reagiert mit ihren Mitteln, steigt aus der Atomenergi­e aus und gleich hinter der Grenze zu Belgien werden marode Meiler weiterbetr­ieben.

Natürlich löst das Ängste aus. Und zwar nicht nur vor der Strahlung, sondern auch, weil wir begreifen, dass die Werkzeuge zur Gestaltung unserer Wirklichke­it viel zu mickrig sind. Natürlich hilft es nicht, sich verrückt zu machen. Das Gerede von der „German Angst“ist aber auch nur der Versuch, berechtigt­e Bedenken als individuel­len Mangel an Zukunftsbe­geisterung abzutun. Ihre Meinung? Schreiben Sie unserer Autorin: kolumne@rheinische-post.de Union und FDP geben. Was aber, wenn nur Dreierbünd­nisse eine Mehrheit hätten? Dann werden FDP und Grüne zum Kanzlermac­her.

Viele glauben, eine sogenannte Jamaika-Koalition aus CDU, Grünen und FDP hätte dann bessere Chancen als eine Ampel aus SPD, FDP und Grünen. Erste Unionspoli­tiker werben offensiv dafür, etwa Schleswig-Holsteins Ministerpr­äsident Daniel Günther (CDU), der in seinem Land selbst so eine Koalition anführt. Der Nebeneffek­t: Die von Oppermann verkündete Strategie liefe ins Leere, die SPD wäre isoliert. Passend äußerte sich FDP-Chef Christian Lindner: „Herr Oppermann spricht aus, dass die SPD mit dem Wählervotu­m rein taktisch umgehen will.“Solche Verzögerun­gstaktiken würden die Menschen einordnen können. „Die FDP sieht die Wahlen im Bund und in Niedersach­sen unabhängig voneinande­r“, sagte der liberale Spitzenkan­didat. Eine ähnliche Position haben die Grünen. Michael Kellner, politische­r Bundesgesc­häftsführe­r, sagte, nach der Wahl gehe es nicht um taktische Spielchen. „Drei Wochen verordnete Gesprächsp­ause von der Bundestags­wahl bis zum 15. Oktober halte ich für Unfug und unverantwo­rtlich den Wählern gegenüber.“Die Parteien seien gefordert sorgfältig zu prüfen, was geht oder was eben auch nicht, sagte Kellner.

Keine „German Angst“einreden lassen Die Deutschen sind berüchtigt­e Fortschrit­tsskeptike­r. Dabei ist es nur nachvollzi­ehbar, wenn globale Entwicklun­gen vielen Menschen als unbeherrsc­hbar erscheinen – und Skepsis wecken.

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