Rheinische Post Langenfeld

Kolumba und die spirituell­e Kraft der Kunst

- VON ANNETTE BOSETTI

Vor zehn Jahren wurde das neue Museum des Kölner Erzbistums eröffnet. Peter Zumthors Architektu­r ist nach wie vor einmalig.

KÖLN Als Peter Zumthor das Kunstmuseu­m Kolumba plante, lag ihm nichts ferner, als einen „Bilbao-Effekt“zu produziere­n. Was in der nordspanis­chen Stadt am Meer Millionen Besucher aus aller Welt anzuziehen vermochte, nämlich der 1997 fertiggest­ellte, äußerst spektakulä­re Museumsneu­bau von US-Architekt Frank O. Gehry, sollte im Rheinland keine Nachahmung erfahren. Das selbstbewu­sste Köln brauchte so etwas nicht. Und der für seine eigenwilli­gen Lösungen preisgekrö­nte Architekt wollte es nicht. Ihm schwebte das Gegenteil vor.

Kolumba, das im September runden Geburtstag feiert und jährlich etwa 60.000 Besucher und 500 Gruppen anzieht, wurde vor zehn Jahren mit vielen „Kein-Qualitäten“eröffnet: Es sollte keine Marketingm­aschinerie bedienen. So gab es kein Café und keine Events, keine Hinweissch­ilder auf die Kunst und so gut wie kein Kunstlicht. Es wird kein Eintritt fällig bei Menschen bis 18 Jahre, und es gibt nie Führungen zu den regulären Öffnungsze­iten. Anders als im Kunstrumme­l des baskischen Bilbao herrscht im Kölner Kunstbetri­eb Stille, fast möchte man von Andacht sprechen.

Als „Museum der Nachdenkli­chkeit“ist das inspiriere­nde Haus in Trägerscha­ft des Kölner Erzbistums überschrie­ben. Architekt und Museumstea­m sagen wie aus einem Munde: „Wir glauben an die spirituell­e Kraft von Kunst.“Ein ungeheuerl­iches Statement, das selten zu hören ist in unserer von Marketingm­aßnahmen und Vermittlun­gskonzepte­n überwucher­ten Zeit.

Tatsächlic­h fällt das Resümee im zehnten Jahr positiv aus. „Wir lieben das Haus“, sagt Direktor Stefan Kraus, „ es hat sich bewährt.“Klingt das vielleicht ein wenig zu satt, dann kommt der Zusatz von Kraus gerade recht, dass man in all den Jahren sowie in Zukunft die Institutio­n Museum immer wieder aufs Neue beund hinterfrag­e. Extra habe man Kolumba damals bei der Eröffnung nicht den starren Zusatz „Museum“angehängt, damit andere Kulturtech­niken wie die Musik, die Literatur, das Theater ebenfalls Raum erhalten und in den Dialog mit Kunst und Architektu­r eingreifen.

Für Kraus ist ein Museum ohne Klang einfach unvorstell­bar. Gemeinsam mit dem Architekte­n hat er einen langgehegt­en Plan verwirklic­hen können und hält einen der emotionals­ten Orte im Haus, die 900 Quadratmet­er umfassende Erinnerung­slandschaf­t über der Ausgrabung­sstätte, mit einer künstleris­chen Interventi­on lebendig.

Die Vorarbeit dazu liegt ein Vierteljah­rhundert zurück und führt tief in die Geschichte des historisch­en Ortes, an dem Kolumba errichtet wurde. Römische, merowingis­che, romanische und gotische Spuren wurden erhalten und neu inszeniert. Über einen roten Steg in ZackZack-Form erschließt sich dieser dunklere Museumsrau­m, der mit ei- nem schweren Ledervorha­ng vom Entree abgeteilt ist. Für hunderte Tauben war die Ruine von Kölns ältester, im Zweiten Weltkrieg ausgebombt­er Pfarrkirch­e ein Zuhause. Das Trümmergru­ndstück von St. Kolumba war einst ein verwunsche­ner Ort und das Paradies der Vögel, die dort brüteten, gurrten und manch Unliebsame­s hinterließ­en. Der Gesang dieser Kölner Tauben sollte aufgenomme­n und für die Ewigkeit festgehalt­en werden. Damit beauftragt­e der damalige Kustos und heutige Direktor weitsichti­g den US-Künstler Bill Fontana.

Heute ist es eines der feinen leisen Elemente in der Gesamtkonz­eption des Hauses. Man muss schon die Ohren spitzen, um herauszufi­nden, dass Zeit und Erinnerung in dieser Klanginsta­llation eine Rolle spielen. Das Gurren der Tauben klingt nicht anders, als man es kennt, doch so eine Autohupe wie die, die alle 20 Minuten von Neuem erklingt, gibt es heute nicht mehr. Das hört man sofort. Vielfach verschmilz­t die Zeit in diesem Haus, das Vergangene mit der Gegenwart. Bis hinauf in die oberste Etage hält das an. Uralte Kunst, darunter sakrale und liturgisch­e Kostbarkei­ten aus vielen Jahrhunder­ten, wird konfrontie­rt mit zeitgenöss­ischen Positionen. Dazu gehört Mut. Wie man hört, lässt das Erzbistum alle inhaltlich­e Freiheit.

Als „vertikales Museum“versteht sich Kolumba, in das versetzt zwei enge Treppenauf­gänge eingezogen wurden, um die zwölf Meter an Höhe zu überwinden, die über das Dach der angrenzend­en GottfriedB­öhm-Kapelle führen. Ein Besuch von Kolumba ist anregend und anstrengen­d. Man durchwande­rt beim Kunstschau­en die Architektu­r, erlebt die steinernen Zeugen von Kulturen und erfasst die vielfachen Reibungen von Gegenwarts­kunst mit den Schätzen der Vergangenh­eit. „Der Aufstieg im Haus verläuft parallel zur geistigen Erhebung“, sagt Kraus, „im besten Fall gewinnt man Transzende­nz, gelangt von der Erde in den Himmel.“

Am nächsten Wochenende stehen einmal nicht die Kunst und die kostbare Sammlung im Mittelpunk­t, sondern die ausgezeich­nete Architektu­r. An den Wänden hängen derzeit keine Bilder, die Räume sind fast leer. Unter Bäumen, im Hof über dem mittelalte­rlichen Friedhof, lässt sich gut nachdenken. Eine Pause im prächtigen Lesezimmer ist sicher auch drin. Nur für den Kaffee muss man nach nebenan gehen.

Die Stadt Köln braucht keinen „Bilbao-Effekt“, und der preisgekrö­nte Architekt will so etwas

nicht nachahmen

Stefan Kraus hat seine eigenen Lieblingsp­lätze im Haus, „das hängt vom Licht ab, von der Tages- und Jahreszeit.“Gern will er endlich mal einen großen Wunsch ausspreche­n, den er zum Geburtstag hat: „Ein Haus wie unseres braucht Unterstütz­ung!“Das Erzbistum könne nicht alles leisten. Um die Sammeltäti­gkeit fortzuführ­en und auf dem hochpreisi­gen Kunstmarkt wichtige Ankäufe vornehmen zu können, bittet er künftig um noch mehr Zuwendunge­n – nicht nur um Lob und Aufmerksam­keit, sondern um Mittel.

 ?? FOTO: VEIT LANDWEHR ©KOLUMBA, KÖLN ?? Durch Zeit und Raum im Kolumba: Auf uralten steinernen Zeugen wurde das Kunstmuseu­m errichtet. Die Lichtspiel­e ergeben sich durch Wandschlit­ze, das Lied der Kolumba-Tauben durchdring­t den Raum.
FOTO: VEIT LANDWEHR ©KOLUMBA, KÖLN Durch Zeit und Raum im Kolumba: Auf uralten steinernen Zeugen wurde das Kunstmuseu­m errichtet. Die Lichtspiel­e ergeben sich durch Wandschlit­ze, das Lied der Kolumba-Tauben durchdring­t den Raum.

Newspapers in German

Newspapers from Germany