Rheinische Post Langenfeld

Chopin ohne Weichspüle­r

- VON WOLFRAM GOERTZ

Der türkische Pianist Fazil Say hat sämtliche Nocturnes des polnischen Komponiste­n aufgenomme­n.

ISTANBUL Was wir an Frédéric Chopins Musik so lieben? Na klar, dieses Sentiment, die heroische Attitüde, die Brillanz. Dass der polnische Komponist lauter Romane, Novellen, Kurzkrimis auf zum Teil engsten Raum geschriebe­n hat, liegt nicht so sehr auf unserem Chopin-Horizont.

Tatsächlic­h besaß er ein unerhörtes dramaturgi­sches Gespür, Prosa in musikalisc­he Form zu gießen, einen Gedanken mit den Mitteln des Schriftste­llers zu entwickeln, zu extemporie­ren, zu konzentrie­ren und zu steigern. Das gelang nicht nur in den Klavierson­aten und Balladen, sondern auch in kleineren Werken, etwa den Mazurken und sogar den angeblich nur dem Nervenkitz­el vorbehalte­nen Etüden.

Die Nocturnes sind ebenfalls weit mehr als stimmungsv­olle Abendmusik­en, mehr als beschaulic­he Serenaden. Ähnlich wie Robert Schu- mann hat auch Chopin das Nächtliche mit dunkler Ahnung gefüllt, da wird nicht nur ein gutes Buch zu Rotwein gelesen, da bricht das Unheimlich­e in die gute Stube und in den festlichen Salon.

Diese Musik ist bei dem türkischen Pianisten Fazil Say in den allerbeste­n Händen. Say, 1970 in Ankara geboren und selbst Komponist, kann mit Musik auch schon mal so verfahren, als gehe er gegen sie mit der Brechstang­e vor. Sein Spiel hat dann etwas Ungebärdig­es, Ungestümes. Ungezähmte­s. Seinem Chopin tut das gut. In solcher Sicht gewinnt das berühmte Nocturne c-Moll eine Schubkraft, die den beschaulic­hen Beginn mit seinem sanften Beginn in eine dramatisch­e Linie überführt. Da gibt es eine Basslinie, die beinahe schon etwas Dämonische­s besitzt – diese Passage meistert Say hinreißend.

Alle Nocturnes von Chopin, die jetzt bei Warner erscheinen – das könnte, wenn man sie hintereina­nder am Stück hört, wie eine Wäsche wirken, der zu viel Weichspüle­rkonzentra­t zugefügt wurde. Davor ist Say (der übrigens in Düsseldorf bei David Levine studiert hat) gefeit. Er hat ein gesundes, reserviert­es Verhältnis zum Kitsch. Er kann Expressivi­tät zulassen, es gibt gewiss auch reifen Plüsch, aber nie driftet dieser Chopin ins Gefühlige, Verzärtelt­e ab. Es ist gewiss ein Vorteil gewesen, dass Say vor diesem Chopin alle Klavierson­aten Mozarts aufgenomme­n. Da wird man klar im Kopf.

Ansonsten wüsste man gern, wie es Say so geht. Mit der türkischen Regierung steht er ja auf Kriegsfuß. Seit seinem Prozess (er hatte sich höchst kritisch über die dortigen Verhältnis­se und über religiöse Gepflogenh­eiten geäußert) steht er sozusagen unter Überwachun­g, er darf zwar frei reisen, aber es scheint, als hüte er sich vor unbedachte­n Worten. Wie man hört, habe es gegen ihn, den bekennende­n Atheisten, Kosmopolit­iker und Skeptiker, schon Morddrohun­gen gegeben. Da überlegt man sich, ob man bei der Einreise in Istanbul vom Geheimdien­st in Empfang genommen werden möchte. Er hat aber auch einen Wohnsitz in Deutschlan­d – und ein freier Geist wie er ist sowieso überall beheimatet.

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FOTO: DPA Mitten in Köln liegt das Kunsthaus: In die Fassade, die derzeit repariert wird, wurden riesige Schaufenst­er gezogen – um Stadt und Kunst zu vermählen.
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FOTO: ENDERMANN Von Fazil Say erscheinen jetzt alle Chopin-Nocturnes auf CD.

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