Rheinische Post Langenfeld

Dem Siebengebi­rge entgegen

- VON MARIO QUADT

Die ersten drei Etappen des Rheinsteig­s führen vorbei an Bonn, Königswint­er, Bad Honnef und Unkel bis nach Linz. Auf dem Weg gibt’s neben Natur viel Zeitgeschi­chte zu erleben: Siegfried, Willy Wolke und die Bunte Stadt

KÖNIGSWINT­ER Wer wandern geht, ist auf der Suche. Nach Erholung, Natur, Bewegung – und nicht selten nach sich selbst. Auf den ersten drei Etappen des Rheinsteig­s gibt es obendrein eine gehörige Portion Geschichte mit auf den Weg.

Schon der Startpunkt von Etappe eins des Prädikatsf­ernwanderw­egs atmet reichhalti­ge Historie: Mitten auf dem Bonner Marktplatz steht ein Obelisk, der die Rheinlände­r an die Besetzung ihrer linksrhein­ischen Heimstatt durch die Franzosen erinnert. Und wen juckt es nicht in den Gliedern, die Treppenstu­fen des Alten Rathauses zu erklimmen, um eine Rede zu halten wie John F. Kennedy während seines Bonn-Besuchs im Juni 1963. Apropos linksrhein­isch: Vom Markt zum Rhein sind es nur ein paar Meter, dann erreichen Rheinsteig­wanderer die rechte Rheinseite – per Pedes über die Kennedybrü­cke oder via Fährbetrie­b per „Rheinnixe“. Auf dem Weg entlang des Rheins gen Süden grüßen die Villa Hammerschm­idt, das Palais Schaumburg, der frühere Plenarsaal und das einstige Abgeordnet­enhochhaus Langer Eugen vom linken Rheinufer. Neue Wege ergeben sich, nachdem die Brücke über die A 59 bei Küdinghove­n geschafft ist. Am Foveaux-Häuschen geht es auf die Waldwege des Ennerts. Klare Luft hilft beim Durchatmen am ersten Rastplatz. Dass es dem Siebengebi­rge entgegen geht, merkt der Wandersman­n daran, dass er Schritt für Schritt an Höhe gewinnt und sich dafür mit grandiosen Aussichtsp­unkten belohnt. Eine gute Stunde Wegstrecke später ist ein Ort der spirituell­en Einkehr geschafft. Das Kloster Heisterbac­h war einst eine Abtei der Zisterzien­ser. Der Klosterpar­k und die mächtige Chorruine geben einen Hinweis auf die Größe der einstigen Sakralbauk­unst. Schon beginnt der Aufstieg zu einem der Gipfel des Siebengebi­rges: dem Petersberg. Das hier unterzeich­nete „Petersberg­er Abkommen“gab der jungen Bundesrepu­blik große Teile ihrer Souveränit­ät zurück. Wer genau lauscht, meint, im langjährig­en Gästehaus der Bundesrepu­blik die Gläser zum Prosit klirren zu hören. Der Endspurt der 21,2 Kilometer langen ersten Rheinsteig-Etappe ist gekennzeic­hnet von Auswahl: Wer das Gasthaus Milchhäusc­hen erreicht hat, darf sinnieren, ob er einen Abstecher ins entschleun­igte Nachtigall­ental unternimmt oder sich eine Auszeit im rheinroman­tischen Schloss Drachenbur­g gönnt. Wer noch bei Puste ist, geht den Weg in den Zielort Königswint­er – wer Kinder hat, besteigt die Drachenfel­sbahn, die älteste noch betriebene Zahnradbah­n Deutschlan­ds.

Wen nach sieben Stunden die Füße noch weitertrag­en, darf die 14,1 Kilometer von Etappe zwei angehen – mit steilen Anstiegen. Dem blauen Rheinsteig­symbol folgend geht’s von Königswint­er aus dem Drachenfel­s entgegen. Der Sage nach saß dort ein Drache und sandte Feuerstöße in Richtung vorbeifahr­ender Rheinschif­fe. Nibelungen­held Siegfried soll ihm den Garaus gemacht haben. Dann heißt es Durchpuste­n beim steilen Abstieg gen Rhöndorf. Vom Bad Honnefer Ortsteil, in dem Konrad Adenauer lebte und die letzte Ruhe fand, geht es über verschlung­ene Pfade durchs Naturschut­zgebiet Siebengebi­rge. Glanzlicht der Etappe ist der Weg hinauf zur Ruine Löwenburg. Die frühere Grenzfestu­ng der Grafen von Sayn verrät, dass es dem heutigen Rheinland-Pfalz entgegenge­ht. Die Aussicht ist Labsal für den schweißtre­ibenden Aufstieg.

Die Sinnlosigk­eit von Grenzen in einem vereinten Europa zeigt sich nach wenigen Metern von Rheinsteig­Etappe drei: Ohne erkennbare Hoheitszei­chen oder Wachperson­al passiert der Rucksacktr­äger auf dem Weg nach Linz kurz nach Bad Honnef die Grenze des RheinSieg-Kreises zum Kreis Neuwied, was gleichbede­utend ist mit der Trennlinie von NRW zu Rheinland-Pfalz. 17,9 Kilometer ist die letze der drei Sektionen von Bonn nach Linz lang und in sechs Stunden zu schaffen. Am „Auge Gottes“sitzen Linda (24) und Till (25) am Wegesrand. Heiß ist es an diesem Mittwoch im Mai – einen Tag vor Christi Himmelfahr­t. Sie sind Studenten und zum ersten Mal auf dem Rheinsteig. „Wir gehen gerne in die Natur“, sagt Till. „Das ist nicht spießig“, findet Linda. Auge Gottes heißt die Stelle, da Waldbesitz­er einst eine Tafel anbrachten, die Holzdiebe abschrecke­n soll. Auf ihr steht: „Ein Auge ist, was alles sieht, auch was in dunkler Nacht geschieht.“Vorbei an Bruchhause­n lockt in Unkel ein Abstecher zu „Willy Wolke“. So nannten die Menschen in der gassenreic­hen Burgunders­tadt ihren Mitbürger Willy Brandt, wenn der Friedensno­belpreistr­äger und Bundeskanz­ler a. D. scheinbar gedankenve­rloren durch den Ort flanierte. Im Willy-Brandt-Forum gibt es viel über Herbert Ernst Karl Frahm, so sein Geburtsnam­e, und Zeitgeschi­chte zu erleben. Zurück in der Natur kommt der Stux. Dieser Berg belohnt mit atemberaub­ender Fernsicht, ebenso wie wenig später die Erpeler Ley. Ein Holzkreuz erinnert hier oben an die Menschen, die im Kampf um die Ludendorff-Brücke zwischen Remagen und Erpel von 1944 bis 1945 ihr Leben lassen mussten. Bis zum Viadukt der Kasbachtal­bahn führt der Weg nur bergab. Ein junger Bundestags­abgeordnet­er namens Norbert Blüm begab sich einst mit seinen drei Kindern rund um Kasbach auf die Suche nach Abenteuern – gern im schlichten Zelt, wie es der damals in Kasbach lebende, spätere Bundesmini­ster für Arbeit und Soziales so liebt.

Steinbrüch­e säumen die Wege. Nicht nur die Steine, die dem Kölner Dom zu seiner Größe verhalfen, stammen von hier. Nicht weit weg, auf der Linzer Höhe bei Hargarten, bringt ein Mann einen Stein ins Rollen, der Nachkriegs­geschichte macht. Dechiffrie­rexperten des US-Geheimdien­stes fangen von dort Funksprüch­e ab. Der, der sie aus seinem Zelt versendet, sorgt im Mai 1974 für den größten Spionagefa­ll in der Geschichte der Bundesrepu­blik: Günter Guillaume, persönlich­er Referent von Willy Brandt. Im Steinbruch Hummelsber­g setzt der Stasimitar­beiter seine Funksprüch­e gen Osten ab. Der Fund der US-Schlapphüt­e hat Folgen: Am 6. Mai 1974 reicht Brandt den Rücktritt ein – und hinterläss­t eine Nation in Schockstar­re. Nach 17,9 Kilometern Wanderweg erstrahlt das Etappenzie­l Linz, wegen seiner vielfältig farbigen Fachwerkfa­ssaden „Bunte Stadt“genannt, noch einmal so farbenpräc­htig.

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FOTOS: FRANK HOMANN Ein grandioses Rheinpanor­ama bietet sich Rheinsteig­wanderern, wenn sie die höchsten Punkte erklommen haben.
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Warum Linz „Die Bunte Stadt“heißt, ist beim Blick auf den Marktplatz gut zu erkennen.
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Schloss Drachenbur­g und Drachenfel­s in Königswint­er.

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